Amazon again: Das Kartellverbot als blinder Fleck des „Marketplace“-Falls der Europäischen Kommission

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Amazon again: Das Kartell­verbot als blin­der Fleck des "Market­place"-Falls der Euro­päischen Kommission

18. Dezember 2020

Das Verfahren "Amazon Marketplace"

Am 10. November 2020 hat die Europäische Kommission ("Kommission") ausweislich einer entsprechenden Presseerklärung in dem im Juli 2019 eingeleiteten Verfahren "Amazon Marketplace" (AT.40462) an Amazon EU S.à.r.l. ("Amazon") eine Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt. Darin verleiht sie ihrer vorläufigen Beurteilung Ausdruck, Amazon verstoße auf den Online-Einzelhandelsmärkten gegen das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 102 AEUV. 

Die Kommission wirft Amazon unter anderem vor, vertrauliche Geschäftsdaten unabhängiger Händler, die ihre Produkte über den Amazon-Marketplace verkaufen, für das eigene, in unmittelbarem Wettbewerb zu diesen Händlern stehende Einzelhandelsgeschäft zu nutzen. Bei diesen Daten handelt es sich nach vorläufiger Einschätzung der Kommission etwa um die Zahl bestellter und ausgelieferter Produkte, jeweils über den Marktplatz erzielte Einnahmen, die Anzahl der Aufrufe von Angeboten, Versanddaten, bisherige Aktivitäten der Händler und geltend gemachte Verbraucherrechte für einzelne Produkte. Nach den gegenwärtigen Erkenntnissen der Kommission werden sehr große Mengen dieser nicht öffentlichen Verkäuferdaten aus dem Marketplace direkt in die Algorithmen des Amazon-Einzelhandelsgeschäfts eingespeist, um die eigenen Angebote und die Geschäftsstrategie von Amazon auszutarieren. Amazon kann sich so beispielsweise auf Angebote besonders erfolgreicher Produktkategorien und Artikel konzentrieren oder auch die eigenen Angebotsparameter zum Nachteil anderer Verkäufer auf der Plattform anpassen.

Implikationen des Verfahrens über den Verdacht des Marktmachtmissbrauchs hinaus

Während die Nachricht über die Mitteilung der Beschwerdepunkte unter dem Aspekt der mit Art. 102 AEUV verbundenen Themen zweifelsohne interessant ist, verdienen die Fragen, zu denen diese schweigt, mindestens das gleiche Maß an Beachtung. Anders als teilweise erwartet, nimmt die Kommission einen möglichen Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art. 101 AEUV offenbar nicht in den Blick, obwohl der Fall durchaus Anlass zu einer entsprechenden Auseinandersetzung geboten hätte.

So ist Amazon der Prototyp einer sog. hybriden Plattform, d.h. einer Plattform, bei welcher der Plattformbetreiber zugleich selbst als Händler auf der Plattform tätig wird. In solchen Fällen steht immer auch ein wettbewerbsbeschränkender Informationsaustausch zwischen den Händlern und dem ebenfalls auf der Plattform als Händler aktiven Plattformbetreiber im Raum und damit ein Verstoß gegen das in Art. 101 AEUV niedergelegte Kartellverbot. So liegt nach den Horizontal-Leitlinien der Kommission bereits dann ein Kartellverstoß vor, wenn ein Unternehmen gegenüber einem Wettbewerber strategische Informationen offenlegt, weil davon ausgegangen wird, dass der Empfänger "die Informationen akzeptiert und sein Markverhalten entsprechend angepasst hat". Etwas anderes gilt danach nur, wenn der Informationsempfänger ausdrücklich erklärt, die Informationen nicht erhalten zu wollen.

Nutzung von Informationen in hybriden Konstellationen als ungeklärtes Problem

Läge der Fokus der Kommission im "Amazon Marketplace"-Fall nicht nur auf einem möglichen Verstoß gegen Art. 102 AEUV, wäre von der noch ausstehenden Entscheidung wertvolle Guidance für die praxisrelevante Thematik der Nutzung von Informationen in hybriden Konstellationen zu erwarten gewesen. Dabei ist die Grundproblematik eines potentiell kartellrechtswidrigen Informationsaustauschs in Situationen, in denen die in einer vertikalen Beziehung zueinanderstehenden Parteien sich zugleich als Wettbewerber auf einer von dem vertikalen Verhältnis unmittelbar berührten Marktstufe begegnen, nicht nur auf hybride Plattformen beschränkt. Sie ist vielmehr eine regelmäßige Herausforderung der kartellrechtlichen Selbsteinschätzung in diversen weiteren, praxisrelevanten Fallgestaltungen.

Vertreibt beispielsweise ein Hersteller seine Produkte an Einzelhändler und unterhält zugleich einen Direktvertrieb (sog. "dualer Vertrieb"), kann sich mit Blick auf eine wirkungsvolle Kartellrechtscompliance ebenfalls die Frage stellen, wie mit den in der vertikalen Vertragsbeziehung gewonnenen Informationen im horizontalen Wettbewerbsverhältnis umgegangen werden muss. Ähnliche Fragen stellen sich, wenn ein Franchisenehmer über einen Franchisevertrag mit einem Franchisegeber verbunden ist und letzterer konkurrierende Tätigkeiten im Wettbewerb zum Franchisenehmer ausübt, obwohl er über strategische Geschäftsdaten des Franchisenehmers aus dem Vertikalverhältnis verfügt. Allen diesen Konstellationen ist mit dem "Amazon Marketplace"-Fall gemeinsam, dass Informationen, die im Vertikalverhältnis (notwendigerweise?) ausgetauscht bzw. erlangt werden, im Horizontalverhältnis zu einer Wettbewerbsbeschränkung führen (können).

Auf den ersten Blick scheint Art. 2 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 ("Vertikal-GVO") die Thematik zu adressieren. Dieser statuiert, die Freistellungswirkung des Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO gelte nicht für vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, es sei denn "Wettbewerber [treffen] eine nicht gegenseitige vertikale Vereinbarung und der Anbieter [ist] zugleich Hersteller und Händler von Waren, der Abnehmer dagegen Händler, jedoch kein Wettbewerber auf der Herstellungsebene". Nach den Leitlinien zur Vertikal-GVO bemessen sich mögliche horizontale Effekte einer solchen hybriden Vereinbarung allerdings unmittelbar nach Art. 101 AEUV sowie den Horizontal-Leitlinien der Kommission. 

Wendet man die Horizontal-Leitlinien jedoch konsequent an, gelangt man – wie zuvor erörtert – wieder zu der mit kartellrechtlichen Unsicherheiten behafteten Konstellation, in der ein kartellrechtswidriger Informationsaustausch und damit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV im Raum steht. Daher stellt sich aus Sicht einer zugleich wirkungsvollen, aber auch nicht überschießenden Kartellrechtscompliance die Frage, wie diesem Risiko begegnet werden kann bzw. muss.

Ausblick

Angesichts der dezidierten Verwaltungspraxis, die etwa das Bundeskartellamt in diesem Kontext entwickelt hat (vgl. etwa den Fallbericht vom 27. März 2018, B5-1/18-001 – Aufbau einer elektronischen Handelsplattform für Stahlprodukte (XOM Metals GmbH), die Pressemitteilung vom 5. Februar 2020 zur Agrarhandelsplattform Unamera oder den Fallbericht vom 9. September 2020, B8-94/19 – Aufbau einer elektronischen Handelsplattform für Mineralölprodukte durch OLF Deutschland GmbH, wäre eine Richtungsentscheidung aus Brüssel für die Praxis sicherlich hilfreich gewesen. Zumindest im "Amazon Marketplace"-Verfahren, das die Kommission wohl nur unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung führt, wird die erhoffte Guidance zur Behandlung der Problematik des Informationsaustauschs bei hybriden Plattformen oder im Rahmen des dualen Vertriebs aber zunächst ausbleiben.

Die rechtssichere Handhabung der Grundproblematik wird jedoch schon seit längerem als unbefriedigend wahrgenommen. Denn nicht nur durch das Vordringen digitaler Vertriebsmodelle, sondern auch durch die zunehmende Verbreitung des Direktvertriebs gewinnt sie immer mehr an Bedeutung. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass die Thematik im Rahmen der aktuellen Überarbeitung der Vertikal-GVO nebst ihrer Leitlinien wohl adressiert werden wird (siehe die zahlreichen diesbezüglichen Verweise im Commission Staff Working Document vom 8. September 2020, SWD(2020) 172 final – Evaluation of the Vertical Block Exemption Regulation). 

Es bleibt daher zu hoffen, dass die neue Vertikal-GVO und ihre Leitlinien ein differenziertes und mit den ebenfalls in der Überarbeitung befindlichen Horizontal-Leitlinien abgestimmtes Regelungskonzept bereitstellen werden. Nur so können diffizile Einzelfallanalysen obsolet gemacht, eine rechtssichere Selbsteinschätzung ermöglicht und damit die unternehmerische Kartellrechtscompliance europaweit erleichtert werden.

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„Patentkriege 2.0“ – Verletzungsklage von Nokia gegen Daimler vor dem EuGH

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"Patentkriege 2.0" – Verletzungsklage von Nokia gegen Daimler vor dem EuGH

11. Dezember 2020

Es bleibt spannend in der Auseinandersetzung zwischen Daimler und Nokia: Am 26. November 2020 legte die 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf dem Europäischen Gerichtshof grundlegende Fragen zur Lizenzierung von standardessentiellen Patenten vor (4c O 17/19). Auslöser des Vorlagebeschlusses ist ein Patentverletzungsstreit zwischen der Nokia Technologies OY und der Daimler AG. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung nimmt Patentinhaber Nokia die Daimler AG wegen Verletzung eines ihrer Patente auf Unterlassung in Anspruch. Das betroffene Patent ist essentiell für den LTE-Standard (4G) und wird benötigt, um Daten in einem Telekommunikationssystem zu senden. Diese Systeme verwenden mehrere Zulieferer von Daimler für ihre LTE-fähigen Module, die nach ihrer Fertigstellung in den Fahrzeugen von Daimler verbaut werden. Kann Nokia Daimler die Nutzung der Technologie verbieten? 

RECHTLICHE EINORDNUNG DES VORLAGEBESCHLUSSES

Im Wesentlichen geht es in dem Patentverletzungsstreit zwischen Nokia und Daimler darum, wie ein fairer und diskriminierungsfreier Zugang zu sog. standardessentiellen Patenten ("SEP") ermöglicht werden kann. Bei einem SEP handelt es sich um eine durch ein Patent geschützte technische Lösung, die zur Grundlage einer Norm oder eines Standards gemacht wurde. In der Regel erhält der Inhaber eines SEPs eine marktbeherrschende Stellung, weil die Hersteller von Bauteilen aufgrund der Norm oder des Standards auf die Nutzung des Patents angewiesen sind und die vom Patent erfasste technische Lehre nicht substituiert werden kann. In diesem Fall liegt ein eigenständiger Lizenzmarkt vor, auf dem der Inhaber des SEP bis zum Patentablauf eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. In den meisten Fällen wird sich der SEP-Inhaber zuvor gegenüber einer Standardorganisation wie ETSI oder IEEE dazu verpflichtet haben, interessierten Nutzern eine Lizenz zu fairen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen ("FRAND") zu erteilen. Erhebt der SEP-Inhaber nun Klage auf Unterlassung, Rückruf und/ oder Vernichtung, kann sich der Nutzer mit dem auf Art. 102 AEUV/§ 19 GWB gestützten kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand verteidigen.

Der Europäische Gerichtshof ("EuGH") hat in seinem vielbeachteten Huawei-Urteil vom 16. Juli 2015 (C-170/13) festgelegt, unter welchen Voraussetzungen der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand durchgreift. Laut EuGH müssen sich beide Parteien ernsthaft um den Abschluss eines Lizenzvertrages unter FRAND-Bedingungen bemühen. Konkret treffen die Streitparteien die folgenden Verpflichtungen: 

  • Zunächst muss der SEP-Inhaber den Patentnutzer auf die vorgeworfene SEP-Verletzung hinweisen. 
  • Daraufhin muss der Verletzer seinen grundsätzlichen Willen zum Abschluss eines Lizenzvertrages zu FRAND-Bedingungen erklären (sog. Lizenzbereitschaft). 
  • Anschließend macht der SEP-Inhaber ein schriftliches FRAND-Lizenzangebot, auf das der Verletzter nach Treu und Glauben in angemessener Zeit reagieren muss. Lehnt er dieses Angebot ab, muss er selbst innerhalb einer kurzen Frist ein FRAND-Gegenangebot machen. 

Im Grundsatz gilt: Verstößt der SEP-Inhaber gegen seine Obliegenheiten, handelt er missbräuchlich und kann sein Patent nicht durchsetzen; die Klage wird abgewiesen. Hält sich der Verletzer nicht an den Fahrplan, kann er sich nicht mit dem Zwangslizenzeinwand verteidigen und wird verurteilt. Der Bundesgerichtshof ("BGH") hat in seinem Urteil vom 5. Mai 2020 in der Sache Sisvel/Haier (KZR 36/17), einige dieser Verhandlungsschritte erstmalig höchstrichterlich konkretisiert. So sei es beispielsweise für die Lizenzbereitschaft des Verletzers nicht ausreichend, wenn dieser sich erst ein Jahr nach Erhalt des Verletzungshinweises unverbindlich und ohne hinreichend erkennbaren Willen zum Abschluss eines Lizenzvertrages unter FRAND-Bedingungen äußert. Wie weitere Details dieses Verhandlungsprozesses zu bestimmen sind, ist jedoch noch immer nicht abschließend geklärt. 

Inhalt der Vorlageentscheidung

Einige dieser offenen Fragen stellen sich auch im Rahmen des eingangs beschriebenen Verfahrens zwischen Nokia und Daimler. Die 4c Zivilkammer des LG Düsseldorf geht zunächst davon aus, dass Nokia gegen Daimler einen Unterlassungsanspruch wegen Patentverletzung zustehen kann. Das Gericht wirft dann allerdings die Frage auf, ob die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch Nokia gegenüber Daimler als Missbrauch ihrer "auf dem Lizenzvergabemarkt unstreitig gegebenen marktbeherrschenden Stellung" anzusehen sei. Für einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung könne insbesondere sprechen, dass Nokia nicht vorrangig die um eine Lizenz nachsuchenden Zulieferer von Daimler lizensiert hat, sondern sich direkt an den Automobilhersteller Daimler wendete. Nokia hält dem entgegen, dass sie als SEP-Inhaberin frei entscheiden könne, auf welcher Stufe einer komplexen Produktions- und Zulieferkette sie Lizenzen zu FRAND-Bedingungen erteile.

Das LG Düsseldorf möchte daher von den Luxemburger Richtern wissen, ob der Inhaber eines standardessentiellen Patents seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, wenn er gegen den Vertreiber des Endprodukts eine Unterlassungsklage wegen Patentverletzung erhebt, ohne zuvor dem Lizenzierungswunsch seiner, das Patent benutzenden Zulieferer nachgekommen zu sein. Darüber hinaus bittet das LG Düsseldorf den EuGH um eine Konkretisierung der weiteren Huawei-Kriterien.

Bewertung und Fazit

Bisher wurden primär die Hersteller von Smartphones, Tablets und anderen Geräten der Unterhaltungselektronik in den sog. "Patentkriegen" von SEP-Inhabern der Mobilfunkbranche verklagt. Durch die zunehmende Verwendung von Telekommunikationstechnik in anderen Bereichen wie beispielsweise Smart Cars, haben sich diese "Kriegsschauplätze" heute allerdings verlagert. Dies zeigt unter anderem das Verfahren zwischen Nokia und Daimler. Hier wird deutlich, dass nun auch Unternehmen der Automobilindustrie das Ziel von patentrechtlichen Klagen sind. Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, werden mit Vorliebe nicht die Zulieferer der verbauten Mobilfunkmodule verklagt, sondern die Automobilhersteller selbst. Allein zwischen Nokia und Daimler waren in der vergangenen Zeit insgesamt zehn Klagen vor den Landgerichten in Düsseldorf, Mannheim und München anhängig. Die "Patentkriege 2.0" haben damit die Automobilindustrie erreicht.

Bereits Ende 2018 reichten verschiedene Automobilhersteller und Zulieferer gegen die Lizenzierungspraxis von Nokia Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Die Beschwerdeführer werfen Nokia vor, dass der Konzern seine marktbeherrschende Stellung in Bezug auf SEPs missbrauche. Nachdem eine Mediation zwischen den streitenden Parteien gescheitert war, soll nun auch die Kommission untersuchen, wie für Telekommunikationsstandards essentielle Patente in der Automobilindustrie zu lizenzieren sind. Im Rahmen dieser Untersuchungen hat die Kommission allen Beteiligten Mitte diesen Jahres Requests for Information ("RFIs") zugesendet und sie um Stellungnahmen gebeten. Die Untersuchungen laufen derzeitig noch.

Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Entwicklungen ist die Vorlageentscheidung der Düsseldorfer Richter zu begrüßen. Der EuGH hat nun die Möglichkeit, grundlegende Fragen zur Lizenzierung von SEPs europaweit zu beantwortet. Dadurch wird SEP-Inhabern und potenziellen Verletzern mehr Rechtssicherheit bei der Ausgestaltung der Verhandlungsschritte bei ihren Lizenzverträgen unter FRAND-Bedingungen gegeben. Darüber hinaus kann eine Entscheidung des EuGH dazu beitragen, einem patentrechtlichen Klagemissbrauch durch SEP-Inhaber vorzubeugen.

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Bundesgerichtshof bejaht grundsätzliche Einstandspflicht von D&O-Versicherungen gegenüber Geschäftsführern für Ansprüche nach § 64 GmbHG und stellt sich damit gegen Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf und OLG Frankfurt

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Bundesgerichtshof bejaht grundsätzliche Einstandspflicht von
D&O-Versicherungen gegenüber Geschäftsführern für Ansprüche nach § 64 GmbHG und stellt sich damit gegen Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf und OLG Frankfurt

4. Dezember 2020

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 18. November 2020 (Az.: IV ZR 217/19) entschieden, dass D&O-Versicherungen im Grundsatz für die Haftung von Geschäftsführern einstehen müssen, wenn diese für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG in Anspruch genommen werden.

Mit diesem Urteil stellt sich der Bundesgerichtshof gegen die diesseits bereits mehrfach kritisierte Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, welches die Einstandspflicht von D&O-Versicherungen vor allem aufgrund rechtsdogmatischer Erwägungen verneint hatte. So hatte das OLG Düsseldorf, ebenso wie das OLG Frankfurt am Main als Berufungsgericht in vorliegender Entscheidung, sich auf den Standpunkt gestellt, dass eine Einstandspflicht der D&O-Versicherung deshalb ausscheide, weil es sich bei dem Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG nicht um einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz im Sinne der Versicherungsbedingungen handele, sondern um einen "Ersatzanspruch eigener Art".

Dieser rechtlichen Argumentation ist der Bundesgerichtshof nun entgegengetreten. Einzig nachvollziehbar stellt er darauf ab, wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer D&O-Versicherung von einem auch mit AGB vertrauten Geschäftsführer auszulegen sind. Ein Geschäftsführer könne – so die lebensnahe Entscheidung des Bundesgerichtshofs – gerade nicht ohne weiteres erkennen, dass ein Anspruch aus § 64 GmbHG gerade kein Schadensersatzanspruch der von ihm geleiteten Gesellschaft, sondern einen Anspruch "sui generis" sei. In aller Klarheit führt der Bundesgerichtshof insofern aus, dass 

"selbst von einem geschäftserfahrenen mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertrauten, dennoch nicht juristisch oder versicherungsrechtlich vorgebildeten Versicherungsnehmer/Versicherten einer D&O-Versicherung weder diese komplexe rechtsdogmatische Einordnung des Anspruchs aus § 64 Satz 1 GmbHG noch ein darauf gestütztes Verständnis des in Ziff. 1.1 ULLA formulierten Leistungsversprechend erwartet werden".

Klarstellend ergänzt der Bundesgerichtshof bei dieser Auslegung noch, dass für einen Geschäftsführer letztlich entscheidend sei, dass eine D&O-Versicherung einstehen müsse, wenn er "den Zustand vor Vornahme seiner pflichtwidrigen Zahlung wiederherzustellen hat, gleichviel, ob dies der Gesellschaft oder den Gesellschaftsgläubigern zugutekommt".

Der vorliegende Rechtsstreit ist damit jedoch noch nicht entschieden. Der Bundesgerichtshof musste die Sache an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverweisen, da dieses nunmehr u.a. zu prüfen hat, ob der Versicherte seine Pflichten im Zusammenhang mit der fortwährenden Prüfung des Eintritts der Insolvenzreife der Versicherungsnehmerin und die unterlassene Insolvenzantragsstellung möglicherweise vorsätzlich verletzt hat. Zudem sind im vorliegenden Fall noch Feststellungen zur Höhe des Anspruchs gemäß § 64 Satz 1 GmbHG erforderlich.

Im Ergebnis ist dieses Urteil aber mehr als zu begrüßen, da es nunmehr Klarheit für die Versicherungsnehmer bietet und sich zudem sicherlich auch auf verschiedene noch offene Fallkonstellationen auswirkt, in denen Insolvenzverwalter ehemalige Geschäftsführer nach § 64 Satz 1 GmbHG in Anspruch nimmt. 

Im Detail zu den hier relevanten Fragestellungen sowie der Kritik an der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Markgraf/Henrich, NZG 2018, 1290).

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Videobotschaften von Aktionären im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung

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Video­botschaf­ten von Ak­tionären 
im Rah­men der virtuellen Haupt­versammlung

27. November 2020

Auch die Hauptversammlungssaison 2020 war geprägt von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Die vom Gesetzgeber im Rahmen einer Notfallgesetzgebung in kürzester Zeit geschaffene Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung hat sich als Kriseninstrument bewährt; zuletzt wurde aber auch vermehrt Kritik an der unzureichenden Einbindung der Aktionäre laut. Aufgrund der anhaltenden Pandemie wurde das Notfallregime kürzlich bis Ende 2021 verlängert. Die virtuelle Hauptversammlung geht also in die zweite Runde. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der folgende Beitrag die freiwillige Berücksichtigung von Aktionärsstellungnahmen im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung und berichtet von ersten diesbezüglichen Erfahrungen aus der Praxis.

In der abgelaufenen Hauptversammlungssaison wurden Aktionärsstellungnahmen im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung nur sehr vereinzelt zugelassen. So hat etwa die Deutsche Bank AG ihren Aktionären ermöglicht, im Vorfeld der Hauptversammlung Stellungnahmen in Textform einzureichen, die dann auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich gemacht wurden, und die Vonovia SE hat während der virtuellen Hauptversammlung Videobotschaften von ausgewählten Aktionären bzw. Aktionärsvereinigungen eingespielt. Zuletzt hat dann die GEA Group Aktiengesellschaft als erstes von den im DAX oder MDAX vertretenen Unternehmen ihren Aktionären die Möglichkeit eröffnet, im Vorfeld der Hauptversammlung Stellungnahmen sowohl in Textform als auch in der Form von Videobotschaften einzureichen, die dann auf der Internetseite zugänglich waren bzw. im Fall von Videobotschaften auch während der Versammlung eingespielt worden sind.

Schon in Anbetracht des Gleichbehandlungsgrundsatzes gemäß § 53a AktG sollte die Einberufung die Möglichkeit zur Einreichung von Stellungnahmen und das diesbezügliche Verfahren für alle Aktionäre der Gesellschaft hinreichend klar beschreiben. Vor diesem Hintergrund gibt der vorliegende Beitrag – nach einem kurzen Überblick über den Rechtsrahmen – praktische Empfehlungen zur freiwilligen Einbeziehung von Aktionärsstellungnahmen in die virtuelle Hauptversammlung.

Rechtlicher Rahmen

Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (COVID-Folgenabmilderungsgesetz), das den rechtlichen Rahmen für die virtuelle Hauptversammlung schafft, enthält lediglich Mindestvorgaben für die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung und die den Aktionären in diesem Rahmen zu gewährenden Rechte. Hiernach steht den Aktionären im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung kein Auskunftsrecht nach dem Maßstab des § 131 AktG zu, sondern lediglich ein diesem gegenüber deutlich reduziertes Fragerecht. Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet, und kann dabei insbesondere auch zusammenfassen und im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen auswählen sowie Aktionärsvereinigungen und Institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugen. Hinzu kommt, dass in der Hauptversammlungssaison 2020 nahezu alle im DAX und MDAX vertretenen Gesellschaften die virtuellen Hauptversammlungen nur mit Briefwahl und Vollmachtsstimmrecht (und nicht mit echter Online-Teilnahme) durchgeführt haben, so dass sich die Aktionäre in der Versammlung auch nicht zu Wort melden oder Anträge stellen konnten.

Eine Regelung bzgl. des Rederechts der Aktionäre enthalten die Mindestvorgaben des COVID-Folgenabmilderungsgesetzes nicht. Die Wiedergabe von Stellungnahmen der Aktionäre durch die Gesellschaft oder die Veröffentlichung von Videobotschaften vor oder während der virtuellen Hauptversammlung stellt allerdings ein Minus gegenüber dem Rederecht der Aktionäre dar, das diesen im Rahmen einer Präsenzversammlung ohne Weiteres zusteht. Daher bestehen gegenüber der freiwilligen Zulassung von Aktionärsstellungnahmen keine grundsätzlichen Bedenken. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 53a AktG ist allerdings – wie oben erwähnt – zu beachten und erfordert eine transparente Darstellung in der Einberufung.

Ausgestaltung und Beschreibung der Stellungnahmemöglichkeit in der Einberufung

Mit Blick auf die Beschreibung der Stellungnahmemöglichkeit und deren Wahrnehmung sollte die Einberufung zunächst die zulässigen Formen der Stellungnahmen festlegen, wobei sich unter praktischen Gesichtspunkten die Zulassung von Stellungnahmen in Textform und in der Form von Videobotschaften anbieten. Zudem sollte die Einberufung genau festlegen, bis zu welchem Zeitpunkt Stellungnahmen bei der Gesellschaft eingereicht werden können. Insofern erscheint es sinnvoll, jedenfalls die im COVID-Folgenabmilderungsgesetz für die Einreichung von Fragen genannte Frist von zwei Tagen vor der Hauptversammlung aufzunehmen, damit ausreichend Zeit für die Sichtung der eingereichten Stellungnahmen zur Verfügung steht. Wenn die Gesellschaft – wie dies vermehrt praktiziert worden ist – schon vor diesem Zeitpunkt die Rede des Vorstandsvorsitzenden im Internet veröffentlicht, haben die Aktionäre gleichwohl – wie in der Präsenz-Hauptversammlung – die Möglichkeit, hierauf zu reagieren.

Schließlich sollte das Verfahren der Einreichung erläutert werden, wobei auch auf die Internetseite der Gesellschaft verwiesen werden kann. Mit Blick auf den Inhalt der Stellungnahmen empfiehlt es sich, einen Bezug zur Tagesordnung zu fordern, um die Veröffentlichung von Stellungnahmen, die einen solchen Bezug nicht aufweisen, mit dieser Begründung ablehnen zu können. Außerdem sollte der Umfang der Stellungnahmen auf ein angemessenes Maß begrenzt werden, um – in Anlehnung an § 126 Abs. 2 Satz 2 AktG – die Veröffentlichung überlanger Beiträge ablehnen zu können. Eine Dauer von mehr als zwei Minuten dürfte sich nicht empfehlen, da bei großen Gesellschaften im Falle der Zusendung zahlreicher Videobotschaften ansonsten die Gefahr besteht, dass die "Generaldebatte" durch langatmige Beiträge erlahmt.

In Bezug auf den Umgang der Gesellschaft mit den eingehenden Stellungnahmen der Aktionäre ist zunächst die Form der vorgesehenen Veröffentlichung zu erläutern. Dabei bietet es sich an, sowohl Stellungnahmen in Textform als auch solche in der Form einer Videobotschaft bereits im Vorfeld der Versammlung auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu machen. Darüber hinaus liegt der Mehrwert von Videobotschaften gerade darin, dass sie während der Versammlung eingespielt werden und damit einen Eindruck vermitteln können, der nah an dem eines Redebeitrags in einer Präsenzversammlung liegt. Auf der anderen Seite sollte in der Einberufung auch der ausdrückliche Hinweis enthalten sein, dass kein Rechtsanspruch der Aktionäre auf die Veröffentlichung einer eingereichten Stellungnahme besteht. Denn – wie bei der Vorabeinreichung von Fragen – kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei der Gesellschaft eine Flut von Stellungnahmen eingeht, die dann praktisch nicht beherrschbar sein wird. Zudem sollte die Einberufung einen speziellen, nicht abschließenden Vorbehalt enthalten, bestimmte Stellungnahmen nicht zu veröffentlichen. Dies betrifft etwa Stellungnahmen mit beleidigendem oder strafrechtlich relevantem Inhalt oder solche, die den vorgegebenen Umfang überschreiten oder nicht rechtzeitig bei der Gesellschaft eingereicht wurden. 

Neben den Hinweisen zum Umgang mit eingehenden Stellungnahmen empfiehlt es sich, in der Einberufung letztlich noch klarzustellen, dass Fragen der Aktionäre ausschließlich auf dem dafür gesondert vorgesehenen Weg einzureichen sind. Insofern sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Fragen, die nur in einer Stellungnahme enthalten sind und nicht auch auf dem dafür vorgesehenen Weg eingereicht wurden, von der Gesellschaft nicht beantwortet werden. Gleiches gilt für etwaige Anträge, sofern die Gesellschaft nach §§ 126, 127 AktG ordnungsgemäß zugegangene Gegenanträge und Wahlvorschläge über die sog. Fiktionslösung als in der Hauptversammlung gestellt behandelt. 

Fazit

Die Veröffentlichung von Aktionärsstellungnahmen, insbesondere in der Form von Videobotschaften, erscheint als ein geeignetes Mittel, um die Aktionäre über die Mindestvorgaben des COVID-Folgenabmilderungsgesetzes hinaus an der Hauptversammlung zu beteiligen. Speziell Videobotschaften vermögen einen Eindruck zu vermitteln, der nah an dem eines Redebeitrags in der Präsenzversammlung liegt, und können zudem dazu beitragen, die virtuelle Hauptversammlung etwas lebendiger zu gestalten. Sofern die Einberufung konkrete Vorgaben für die Einreichung der Aktionärsstellungnahmen macht, scheint der Umgang mit diesen für die Gesellschaften auch gut beherrschbar.

Insofern ist nach der zuletzt vermehrt geübten Kritik an der unzureichenden Einbindung der Aktionäre im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung zu erwarten, dass den Aktionären in der nun anstehenden zweiten virtuellen Hauptversammlungssaison deutlich häufiger die Möglichkeit gegeben werden wird, sich in den Versammlungen mittels Videobotschaften o.ä. einzubringen. Zugleich wird es spannend sein zu sehen, wie die Aktionäre die Möglichkeit zur Einreichung von Stellungnahmen in der Breite annehmen werden. 

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Update: Modernisierung des Personengesellschaftsrechts

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#Update: Mo­derni­sierung des Per­sonen­gesell­schafts­rechts

25. November 2020

Nachdem die Expertenkommission des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im April 2020 den Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (vgl. Blogbeitrag 15. Mai 2020) vorgelegt hatte, ist nun am 19. November 2020 der Referentenentwurf für das Gesetz veröffentlicht worden. Ziel des Modernisierungsvorhabens ist, das Recht der Personengesellschaften zu konsolidieren und die geltenden Vorschriften an die Bedürfnisse der Praxis anzupassen. Bereits der Entwurf der Expertenkommission war aufgrund der hohen praktischen Relevanz des Vorhabens aber auch wegen der erheblichen Reichweite des Reformvorstoßes mit großem öffentlichem Interesse begleitet worden. Die bis Ende Juli 2020 veröffentlichten Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände begrüßten die geplanten Änderungen grundsätzlich, wenngleich einige Punkte eine nicht unerhebliche Kritik erfahren haben. 

Der folgende Beitrag soll einen ersten kurzen Überblick zu den geplanten Neuerungen im Personengesellschaftsrecht geben und zugleich untersuchen, wie der Referentenentwurf auf zwei der Hauptkritikpunkte an dem Expertenentwurf – namentlich die Kodifizierung des Beschlussmängelrechts für Personengesellschaften und die Einführung eines sog. Gesellschaftsregisters für GbR – reagiert. Die eher dogmatische Diskussion um eine Anpassung des Kaufmannsbegriffs soll an dieser Stelle hingegen nicht vertieft werden.

I. Die geplanten Änderungen im Personengesellschaftsrecht

Der 350-seitige Gesetzesentwurf beinhaltet sowohl grundlegende als auch rein redaktionelle Änderungen in über 40 Gesetzen. Dabei unterliegt das Gesetzgebungsvorhaben einem recht straffen Zeitplan, da es noch bis zum Ende der Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Dies ist nicht zuletzt einer der Gründe, warum sich bereits die Expertenkommission gegen eine Totalreform des Personengesellschaftsrecht (sog. Große Lösung) und für eine (punktuelle) Anpassung der bestehenden Regelungen entschieden hat. 

Leitbild des Modernisierungsvorhabens ist eine auf Dauer angelegte Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die am Rechtsverkehr teilnimmt und mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet ist. Um der Vielfalt möglicher Gesellschaftszwecke weiterhin Rechnung tragen zu können, werden die Regelungen größtenteils dispositiv ausgestaltet, sodass abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag regelmäßig möglich bleiben. 

Zwei der wesentlichen Neuerungen sind die Einführung eines sog. Gesellschaftsregisters und die Einführung eines Beschlussmängelrechts im HGB.

1. Die Register-GbR

Die Einführung eines GbR-Registers erfüllt die seit langer Zeit gestellte Forderung, für die GbR eine Registerpublizität und damit eine deutlich erhöhte Transparenz für den Rechtsverkehr zu implementieren. Nach dem Vorbild des Handelsregisters besteht zukünftig auch für eine GbR nunmehr die Möglichkeit einer – zunächst – freiwilligen Registrierung. So ist die Rechtsfähigkeit einer GbR auch künftig nicht an die Registrierung geknüpft. Lediglich für solche GbR, die als Grundstücksberechtigte im Grundbuch auftreten, soll ein Voreintragungserfordernis aufgestellt werden. Für bereits bestehende Grundstücks-GbR bedeutet dies, dass spätestens im Zeitpunkt der Weiterveräußerung eines im Eigentum einer GbR stehenden Grundstücks eine Registrierung erforderlich sein wird. 

Neben der deutlich erhöhten Rechtssicherheit im Grundstücksverkehr entfällt durch dieses Voreintragungserfordernis beim Grundstückserwerb zugleich die derzeit komplizierte Regelungstechnik für Eintragungen der GbR im Grundbuch. Bisher wurde eine Vermutung bezüglich der Existenz der Gesellschaft und den Umfang ihres Gesellschafterkreises dadurch begründet, dass die Gesellschafter selbst im Grundbuch eingetragen werden müssen. Die Eintragung der Gesellschafter erübrigt sich künftig durch einen Blick in das Gesellschaftsregister.

Die Ausstattung des Registers mit öffentlichem Glauben sowie das Aufstellen der unwiderleglichen Vermutung für die Existenz einer eingetragenen GbR führen aber auch außerhalb des Immobiliarsachenrechts zu dem positiven Effekt, dass eingetragene Umstände leicht ermittelt und rechtssicher nachgewiesen werden können. Es dürfte in Anbetracht der nicht von der Hand zu weisenden Vorteile der Registerpublizität für den Rechtsverkehr zu erwarten sein, dass – potentielle – Vertragspartner zukünftig eine Registrierung verlangen werden. Durch das Element der Freiwilligkeit in Kombination mit den gleichzeitig geschaffenen gesetzlichen Anreizen wird zudem die notwendige Differenzierung zwischen kleineren Gelegenheits-GbR und in wirtschaftlich erheblichem Umfang tätigen GbR erreicht.

2. Die Kodifizierung des Beschlussmängelrechts

Die zweite wesentliche Neuerung ist die Kodifizierung des Beschlussmängelrechts für die offene Handelsgesellschaft (OHG) sowie die Kommanditgesellschaft (KG). In Anlehnung an das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht soll künftig eine Differenzierung zwischen solchen Mängeln bestehen, die bereits aus sich heraus zur Nichtigkeit führen, und solchen, die erst durch eine befristete Anfechtungsklage vernichtet werden müssen (sog. Anfechtungsmodell). Im Gegensatz dazu führen nach der bisherige Rechtslage Beschlussmängel unterschiedslos zur Nichtigkeit des Gesellschaftsbeschlusses. Sie können im Wege der Feststellungsklage, die gegen die übrigen Gesellschafter zu richten ist, geltend gemacht werden (sog. Feststellungsmodell). 

Künftig müssen Beschlussmängel binnen einer Frist von drei Monaten gerichtlich angefochten werden. Durch die Abkehr vom Feststellungsmodell soll der derzeit notwendigen Praxis entgegengewirkt werden, von der gesetzlichen Regelung abweichende gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen bezüglich etwaiger Beschlussmängel treffen zu müssen. Gleichwohl sollen die Vorschriften dispositiv sein – den Gesellschaftern steht es insoweit frei, im Gesellschaftsvertrag Abweichendes zu vereinbaren (sog. "opt-out"-Mechanismus). 

II. EIN KURZER VERGLEICH ZUM ENTWURF DER EXPERTENKOMMISSION

Der Referentenentwurf greift großteils das Vorhaben des Entwurfs der Expertenkommission auf, wenngleich an einigen Stellen in anderer Gestalt. So wurde das Gesellschaftsregister unverändert übernommen, die Reform des personengesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelrechts hingegen auf die OHG sowie die KG begrenzt. Für die GbR soll es hingegen beim "Alten" bleiben. Dies dürfte eine Reaktion auf die vielfach geäußerte Kritik an der Umsetzung der geplanten Neuregelungen und des vermeintlich erzeugten "Klagezwangs" im Anfechtungsmodell darstellen. 

Der Kernpunkt der Kritik am Entwurf der Expertenkommission war insbesondere die fehlende Differenzierung zwischen den strukturell äußerst verschiedenen Gelegenheits-GbR einerseits und in wirtschaftlich beträchtlichem Umfang tätigen Publikums(kommandit)gesellschaften andererseits. Die umfassende Einführung des Anfechtungsmodells im BGB hätte – aufgrund des vermeintlichen Klagezwangs – gerade für Gelegenheitsgesellschaften einen erheblichen Mehraufwand und Regelungsbedarf bedeutet. Da gerade Kleinst-Gesellschaften, die vielfach gar nicht über einen verschrifteten Gesellschaftsvertrag verfügen, aus dem Anfechtungsmodell hätten ausoptieren müssen. 

Allerdings überzeugt auch der nunmehr eingeschlagene Weg, der zu einer Differenzierung zwischen dem Recht der GbR und der anderen Personengesellschaften führt, nicht. Denn gerade diese Unterscheidung zwischen den einzelnen Personengesellschaften erhöht die Komplexität, zumal auch nicht immer trennscharf zwischen der Rechtsform der GbR und der OHG abgegrenzt werden kann.

Es bleibt somit abzuwarten, ob der Entwurf in dieser Form auch Gesetz werden wird. Wir halten Sie hierüber selbstverständlich auf dem Laufenden.

Der Blogbeitrag steht hier für Sie zum Download bereit: #Update: Modernisierung des Personengesellschaftsrechts

Referentenentwurf zur Stärkung der Finanzmarktintegrität

#GMW-BLOG: AKTUELLE RECHTS­­ENTWICK­LUNGEN

Referen­ten­ent­wurf zur Stär­kung der Finanz­markt­inte­grität

17. November 2020

Ende Oktober 2020 wurde ein erster Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität veröffentlicht. Er zielt auf die dauerhafte Stärkung des Vertrauens in den deutschen Finanzmarkt ab und sieht – nicht unumstrittene – Gesetzesänderungen in den Bereichen Abschlussprüfungen, Corporate Governance von Unternehmen und der Bilanzkontrolle vor. In welchem Umfang diese Änderungen tatsächlich später beschlossen werden, ist derzeit allerdings noch nicht absehbar.

Hintergrund

Anfang Oktober 2020 haben das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Bilanzbetrug und zur Stärkung der Kontrolle über Kapital- und Finanzmärkte verabschiedet, um das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland und dessen Funktionsfähigkeit zu stärken. Ziel ist es, u.a. ein Gesetz auf den Weg zu bringen, welches das Bilanzkontrollverfahren grundlegend reformieren soll. Wenige Wochen später, am 26. Oktober 2020, veröffentlichten die beiden Ministerien dann einen ersten Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarkintegritätsstärkungsgesetz – FISG).

Kern des Gesetzes ist insbesondere die Stärkung der Bilanzkontrolle und der Abschlussprüfung, um die Richtigkeit der Rechnungslegung von Unternehmen sicherzustellen. Dazu sollen u.a. die bereits bestehenden Regeln der Abschlussprüfung verschärft und die Aufsichtsstrukturen der BaFin verbessert werden. Daneben befasst sich der Referentenentwurf mit weiteren angrenzenden Rechtsgebieten wie beispielsweise dem Gesellschaftsrecht, um die Corporate Governance der zu prüfenden Gesellschaften zu verbessern.

In diesem Beitrag geben wir einen kurzen Überblick über die wesentlichen Regelungen des FISG in der Fassung des RefE vom 26. Oktober 2020.

Ausgewählte Aspekte des FISG

Das FISG sieht für verschiedene Gesetze inhaltliche Änderungen vor. Der Schwerpunkt der Neuerungen liegt in den Bereichen der Abschlussprüfungen, der Corporate Governance und der Bilanzkontrolle.

Regelungsbereich Abschlussprüfungen

Im Bereich der Abschlussprüfungen sind insbesondere die Verschärfung der Rotationspflicht, die Trennung von Prüfungs- und Beratungsleistungen sowie die Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung des Abschlussprüfers gegenüber dem geprüften Unternehmen vorgesehen. Im Einzelnen:

  • Begrenzung der Höchstlaufzeit von Prüfmandaten auf zehn Jahre für Unternehmen von öffentlichem Interesse, vgl. § 316a Satz 2 HGB-E (Unternehmen von öffentlichem Interesse in diesem Sinne sind (i) Unternehmen, die kapitalmarktorientiert i.S.d. § 264d HGB sind, (ii) CRR-Kreditinstitute i.S.d. § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG und (iii) Versicherungsunternehmen)
  • Steuerberatungs- und Bewertungsleistungen dürfen vom Abschlussprüfer nicht mehr neben der Abschlussprüfung erbracht werden (vgl. die ersatzlose Streichung von § 319a HGB)
    Die ersten beiden Punkte sollen ausweislich der Gesetzesbegründung "die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer" stärken, vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 54.
  • Unbegrenzte zivilrechtliche Haftung des Abschlussprüfers schon bei grober Fahrlässigkeit (statt nur bei Vorsatz) sowie Anhebung der Haftungsgrenze bei einfacher Fahrlässigkeit von vier auf 20 Mio. Euro pro Prüfung (vgl. § 323 Abs. 2 HGB-E)
    Diese Neuregelung soll laut Gesetzesbegründung "die Qualität der Abschlussprüfung fördern", indem "notwendige Anreize zu einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung der Rechnungslegungsunterlagen" gesetzt werden, vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 1 und 55.
  • Verschärfung des Strafmaßes für Bilanzfälschung, falschen Bilanzeid und die Ausstellung eines falschen Bestätigungsvermerks (vgl. §§ 331 ff. HGB-E) sowie Erweiterung der Bußgeldvorschriften in § 334 HGB
    Nach der Gesetzesbegründung soll durch die Anpassungen im Bilanzstrafrecht "eine ausreichend abschreckende Ahndung" der Unternehmensverantwortlichen und der Abschlussprüfer ermöglicht werden, vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 55.

Regelungsbereich Corporate Governance

Im Zusammenhang mit der Corporate Governance der zu prüfenden Unternehmen steht die Stärkung der unternehmensinternen Prüfverfahren sowie der Kontroll- und Überwachungsprozesse im Fokus. Folgende Regelungen sind konkret vorgesehen:

  • Verpflichtung zur Einrichtung eines im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenen und wirksamen internen Kontrollsystems und Risikomanagementsystems für börsennotierte Unternehmen (vgl. § 93 Abs. 1a AktG-E)
  • Zwingende Einrichtung eines Prüfungsausschusses zur Überwachung der Unabhängigkeit und Qualität der Abschlussprüfung für Unternehmen von öffentlichem Interesse im Sinne von § 316 Satz 2 HGB-E sowie Beurteilung der Qualität der Abschlussprüfung als neuer Pflichtauftrag des Prüfungsausschusses (§ 107 Abs. 3 S. 3 und Abs. 4 AktG-E)
  • Auskunftsrecht des Prüfungsausschusses gegenüber dem Leiter der internen Kontrolle, dem Leiter des Risikomanagements und dem Leiter der Internen Revision (§ 107 Abs. 4 AktG-E bzw. § 34 Abs. 5 SE-Ausführungsgesetz)
    "Mit dieser Regelung, die sich ausdrücklich auf Gesellschaften mit verpflichtendem Prüfungsausschuss beschränkt, ist indes keine Abkehr von der Grundentscheidung des Aktiengesetzes (vergleiche § 90 Absatz 1 AktG) verbunden, dass der Vorstand grundsätzlich der richtige Adressat für ein Auskunftsverlangen des Aufsichtsrates ist", vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 117. Die Regelung hat demnach Ausnahmecharakter wie zum Beispiel auch § 25d Abs. 8 Satz 7 KWG für Kreditinstitute.
  • Im Aufsichtsrat und im Prüfungsausschuss muss mindestens ein Mitglied über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung und mindestens ein Mitglied auf dem Gebiet der Abschlussprüfung verfügen (vgl. § 107 Abs. 4 Satz 2 AktG-E in Verbindung mit § 100 Abs. 5 AktG). Die Sachkunde kann auch kumulativ durch ein Mitglied vorhanden sein
    Die neu einzuführenden Pflichten sollen laut der Gesetzesbegründung dazu führen, dass "die unternehmensinternen Kontrollsysteme gestärkt und die Verantwortungsstrukturen verbessert" werden, vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 55.

Sonstige Regelungsbereiche

Bezüglich der sonstigen Regelungsbereiche sind insbesondere die Vorschläge für die Bilanzkontrolle zu erwähnen, die nachfolgend zusammengefasst werden:

  • Zuständigkeit der BaFin für Anlassprüfungen sowie Erweiterung ihrer Kompetenzen, z.B. Auskunfts- und Ladungsrechte sowie Durchsuchungs- und Beschlagnahmerechte, darüber hinaus auch das Recht zum Naming and Shaming (vgl. § 107 WpHG-E)
    Hintergrund dieser Regelungen ist ausweislich der Gesetzesbegründung, dass "der BaFin die Kontrolle über das Prüfungsgeschehen" ermöglicht wird. Das Gesetz stelle sicher, "dass in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel zur Verfügung stehen. So werden Bilanzkontrollen insgesamt schneller, transparenter und effektiver", vgl. RefE v. 26.10.2020 S. 1.
  • Eine Prüfstelle kann für Stichprobenprüfungen eingesetzt werden, hat aber künftig mehr Pflichten gegenüber der BaFin (§§ 107a Abs. 3 und 4, 108 WpHG-E)
  • BaFin soll künftig Verfahren der Prüfstelle an sich ziehen können (§ 108 Abs. 4 WpHG-E)
  • Unrichtige Auskunftserteilung gegenüber der Prüfstelle kann Geldbuße in Höhe von bis zu EUR 100.000 nach sich ziehen (§ 120 Abs. 2 Nr.  14a und Abs. 24 WpHG-E)

Fazit und Ausblick

Der von BMF und BMJV vorgelegte Referentenentwurf zum FISG bringt erhebliche Änderungen im Bereich der Abschlussprüfungen mit sich. Davon sind in erster Linie die Wirtschaftsprüfer betroffen. Im Rahmen der Konsultationsphase, die vor wenigen Tagen endete, wurde seitens der Wirtschaftsprüferkammer und vom Institut für Wirtschaftsprüfer erhebliche Kritik an den Vorschlägen geäußert. Die Regelungen seien zu weitgehend und würden letztlich dem Finanzplatz Deutschland Schaden zufügen. Insbesondere die Verschärfung der Haftung der Wirtschaftsprüfer (Erhöhung der Haftungsgrenze, Haftung bei grober Fahrlässigkeit etc.) sei unangemessen. Sie wirke sich zulasten der kleinen und mittelständigen Wirtschaftsprüfer aus und verstärke das derzeit bestehende Oligopol.

Grundsätzlich positiv bewertet werden hingegen die Regelungen zur Stärkung der Corporate Governance (Errichtung eines internen Kontroll- und Risikomanagementsystems, verpflichtende Errichtung eines Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat zur Überwachung der Unabhängigkeit und Qualität der Abschlussprüfung usw.), die allerdings die zu prüfenden Gesellschaften und nicht die Wirtschaftsprüfer treffen.

Es bleibt abzuwarten, wie auf Gesetzgebungsebene mit der Kritik der Wirtschaftsprüferverbände umgegangen und welche Änderungen und Anpassungen das Gesetz letztlich noch erfahren wird. Ohnehin werden die Gesetzesänderungen des FISG aufgrund von Übergangsvorschriften frühestens ab 2022 gelten.

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Immer wieder Amazon – Jetzt im Fokus: „Brandgating“ – Schwellen für Einstweilige Verfügungen im zivilen Eilrechtsschutz

#GMW-BLOG: AKTUELLE RECHTS­­ENTWICK­LUNGEN

IMMER WIEDER AMAZON – JETZT IM FOKUS: "BRAND­GATING" – SCHWEL­LEN FÜR EINST­WEILIGE VER­FÜGUNGEN IM ZI­VILEN EIL­RECHTS­SCHUTZ 

12. November 2020

Das Bundeskartellamt ermittelt wieder gegen Amazon. Gegenstand des Verfahrens ist das sog. "Brandgating", wonach Amazon Markenherstellern, wie im konkreten Fall Apple, die Möglichkeit bietet, nicht autorisierte Händler vom Verkauf ihrer Produkte über den Amazon-Marketplace auszuschließen. Voraussetzung ist, dass Amazon selbst als autorisierter Händler zugelassen wird. Wie ein erst spät veröffentlichtes Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. aus dem Februar 2019 zeigt, geht das Verfahren gegen Amazon auf einen mittelständischen Marketplace-Händler zurück. Trotz kaufmännischer Abhängigkeit hat er es "gewagt", die Aufhebung der Sperrung seiner Angebote auf dem Marketplace im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen Amazon durchzusetzen. Mit Erfolg: Das Landgericht Frankfurt a.M. untersagte Amazon einstweilig die Löschung der Apple-Angebote des Händlers. Zivilrechtsschutz kann also trotz aller Sorge vor der Reaktion eines übermächtigen Gegners, wie hier Amazon, und den üblichen Prozessrisiken ein sehr effizientes Mittel sein, zumal angesichts der üblichen Dauer der Verfahren der Kartellbehörden (das in Sachen Brandgating nun erst beginnt). Das Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. veranschaulicht dies: Zentrale Tat- und Rechtsfragen wurden pragmatisch gelöst. Vor allem wurden bei der wesentlichen Hürde einstweiliger Verfügungen, dem Verfügungsgrund, keine überspannten Anforderungen gestellt. 

I. BRANDGATING UND DAS VERFAHREN DES BUNDESKARTELLAMTS

Beim Brandgating handelt es sich um eine Beschränkung des Verkaufs von Markenartikeln durch Dritthändler auf dem Amazon-Marketplace. Amazon bietet Markenherstellern mit dem Brandgating die Möglichkeit, Dritthändler vom Verkauf ihrer Produkte über den deutschen Amazon-Marketplace auszuschließen, wenn sie Amazon als Händler zulassen. Nach Aussage des Präsidenten des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, ist dabei zwischen zwei Varianten zu unterscheiden: Bei einigen Marken würden pauschal alle Händler mit Ausnahme von Amazon selbst und dem jeweiligen Markenhersteller ausgeschlossen. Bei anderen Marken beziehe sich der Ausschluss nur auf bestimmte (nicht autorisierte) Dritthändler wie im Fall Apple. So war seit Anfang 2019 der Verkauf der Apple-Produkte auf dem deutschen Amazon-Marketplace nur noch autorisierten Apple-Händlern und Amazon erlaubt.

Infolge der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung des Amazon-Marketplace und der Doppelrolle von Amazon als Einzelhändler auf der einen und Marktplatzbetreiber auf der anderen Seite sieht das Bundeskartellamt in Brandgating-Abreden einen möglichen Verstoß gegen das Kartellrecht. Das Landgericht Frankfurt a.M. hat im Rahmen seiner summarischen Prüfung einen klaren Verstoß gegen das Missbrauchsverbot festgestellt, weil die Händler durch die Sperrung ihrer Produkte behindert wurden (s. sogleich im Detail). Das Bundeskartellamt wird sich insoweit grundlegender mit der Frage beschäftigen müssen, welche kartellrechtlichen Schranken aus der gleichzeitigen Tätigkeit als marktbeherrschender Betreiber des Marketplace für die Tätigkeit von Amazon als Einzelhändler und umgekehrt folgen. Darf Amazon sich als Einzelhändler um Aufnahme in ein selektives Vertriebssystem bemühen, wenn dies mit der Verpflichtung einhergeht, gezielt gegen nicht autorisierte Händler auf dem Amazon-Marketplace vorzugehen? Kann die Rechtmäßigkeit des Vertriebssystems eines Markenherstellers entsprechende Umsetzungsmaßnahmen von Amazon rechtfertigen? Eine vermeintliche Rechtfertigung könnte auch im Schutz vor Produktpiraterie liegen. Obgleich der Kampf gegen Produktfälschungen ein legitimes Anliegen sein dürfte, hat Andreas Mundt bereits deutlich gemacht, dass das Bundeskartellamt die Verhältnismäßigkeit entsprechender Maßnahmen kritisch prüfen wird. 

Das neuerliche Vorgehen des Bundeskartellamts fügt sich nahtlos in eine Reihe weiterer Verfahren gegen Amazon ein, die entweder aus der Marktmacht von Amazon resultieren und/oder an das Konfliktpotenzial anknüpfen, das sich aus der Doppelrolle von Amazon als Plattformbetreiber und Einzelhändler ergibt. Zu nennen sind zunächst die Entscheidungen des Bundeskartellamts zu Preisparitätsklauseln (BKartA, Fallbericht vom 9. Dezember 2013, B6-46/12) und wegen der Verwendung missbräuchlicher AGB (BKartA, Fallbericht vom 17. Juli 2019, B2-88/18) im Kontext mit der Sperrung von Marketplace-Händlern und dem Umgang mit Beschwerden sowie der Europäischen Kommission zu Exklusivvereinbarungen beim Vertrieb von E-Books (Europäische Kommission, Entscheidung vom 4. Mai 2017, COMP/40.153). Wichtig sind auch die Untersuchungen des Bundeskartellamts anlässlich der Löschung von (angeblich überteuerten) Händlerangeboten während der COVID-19 Pandemie sowie v.a. der Europäischen Kommission anlässlich der Sammlung und Nutzung wettbewerbssensibler Daten von Einzelhändlern, auf die Amazon als Betreiber des Marketplace Zugriff hat (COMP/40.462). Insoweit hat die Europäische Kommission gerade in dieser Woche Amazon die Beschwerdepunkte zugestellt, weil sie in der systematischen Nutzung von Daten der Marketplace-Händler zur Verbesserung des Eigengeschäfts von Amazon einen klaren Marktmachtmissbrauch und Verstoß gegen Art. 102 AEUV erkennt.

II. URTEIL DES LANDGERICHTS FRANKFURT A.M.

Mit Urteil vom 12. Februar 2019 hat das Landgericht Frankfurt a.M. Amazon untersagt, die von einem nicht autorisierten Apple-Händler auf dem Marketplace angebotenen Apple-Produkte zu löschen, sodass dieser seine Ware wieder ungehindert einstellen und vermarkten konnte.

1. Sachverhalt

Hintergrund der Löschung durch Amazon (nachfolgend auch als "Verfügungsbeklagte" bezeichnet) war die BrandgatingVereinbarung zwischen Amazon und Apple aus dem Jahr 2018. In dieser verpflichtete sich Amazon im Gegenzug für die Aufnahme als autorisierter Apple-Vertriebshändler dazu, nicht autorisierte Apple-Händler ab Januar 2019 vom Amazon-Marketplace auszuschließen.

In Umsetzung dieser Verpflichtung wies Amazon u.a. den Verfügungskläger im November 2018 darauf hin, dass ab Januar 2019 sämtliche Apple-Produkte, die nicht von autorisierten Händlern vertrieben würden, vom Marketplace entfernt würden. Hiergegen wendete sich die Verfügungsklägerin, die zwar Apple-Produkte vertreibt, aber nicht (mehr) autorisierte Apple Händlerin ist, mit ihrem Antrag auf Erlass der vom Landgericht Frankfurt a.M. schließlich gewährten einstweiligen Verfügung.

2. Begründung

Nachdem das Landgericht Frankfurt a.M. seine Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO als Gericht am Sitz der beeinträchtigten Verfügungsklägerin bejaht hat, stellt es zunächst klar, dass die mit Blick auf kartellrechtliche Sachverhalte – anders als dies die Verfügungsbeklagte vorgetragen hatte – vielfach komplexen rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge dem Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht entgegenstünden, insbesondere sei auch die Feststellung der Marktbeherrschung im einstweiligen Verfügungsverfahren möglich.

Das Landgericht Frankfurt a.M. bejaht sodann zunächst den Verfügungsanspruch bzw. den Unterlassungsanspruch gemäß § 33 GWB in Verbindung mit § 19 GWB. Insoweit widmet sich das Gericht zunächst der Marktabgrenzung und grenzt einen sachlichen Markt für "die Erbringung von Dienstleistungen von Onlinemarktplätzen gegenüber Onlinehändlern" ab. Dabei nimmt das Landgericht ausdrücklich auf das Bundeskartellamt Bezug, das einen Markt für B2C-Plattformdienstleistungen zum Vertrieb eines allgemeinen Warensortiments definiert hatte (BKartA, Fallbericht vom 9. Dezember 2013, B6-46/12). Nicht zu diesem Markt zu rechnen sind nach Ansicht des Gerichts insbesondere die Dienstleistungen von Preissuchmaschinen sowie der Vertrieb über die eigene Händlerwebsite. Demgemäß gehört auch der Eigenvertrieb durch Amazon nicht zum relevanten Markt.

Dieser Markt ist nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt a.M. räumlich auf die Bundesrepublik Deutschland begrenzt. Dabei stellt das Landgericht maßgeblich auf die tatsächlichen Verbrauchergewohnheiten und die faktische Ausrichtung des deutschen Amazon-Marketplace auf deutsche Kunden ab (u.a. ".de"-Domain, voreingestellte Sprache etc.). Dass es grundsätzlich möglich sei, die auf dem deutschen Amazon-Marketplace angebotenen Produkte auch außerhalb von Deutschland zu beziehen, stehe dieser Abgrenzung nicht entgegen. 

Auf diesem Markt sei Amazon auch marktbeherrschend. Dabei stützt sich das Landgericht auf verschiedene durch die Verfügungsklägerin beigebrachte Studien (u.a. den Handels-Monitor 2018 des Handelsverband Deutschland, der zu dem Ergebnis kam, dass 25% des gesamten deutschen Online-Handelsumsatz auf den Marketplace entfallen). Unter der ergänzenden Prämisse, dass davon auszugehen sei, dass etwa 50% des deutschen Online-Umsatzes auf Online-Markplätze entfalle, kommt das Landgericht zu dem Schluss, dass mit Blick auf den Amazon-Marketplace die Marktbeherrschungsvermutung nach § 18 Abs. 4 GWB einschlägig sei, weil jedenfalls Marktanteile über 40% gegeben seien. Amazon habe auch nichts vorgetragen, was diese Vermutung hätte widerlegen können.

Den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung in Form der unbilligen Behinderung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB sah das Landgericht Frankfurt a.M. ohne weiteres im pauschalen Ausschluss sämtlicher Apple-Angebote von nicht autorisierten Händlern. Dies sei objektiv behindernd und auch unbillig, weil Händler wie die Verfügungsklägerin keine adäquaten Möglichkeiten hätten, auf andere Online-Marktplätze auszuweichen. Da die Verfügungsklägerin sich zudem erfolglos um die Aufnahme als offizielle Apple-Händlerin bemüht hatte, konnte das Landgericht es zudem dahinstehen lassen, ob eine tatsächliche Möglichkeit, Apple-Händlerin zu werden, der Annahme eines Missbrauchs entgegenstanden hätte. 

Mit Blick auf die Doppelrolle von Amazon erkennt das Landgericht Frankfurt a.M. zwar an, dass auch die Interessen von Amazon als Einzelhändler in die Abwägung einzustellen sind und Amazon ein legitimes Interesse hat, Vertragshändler von Apple zu werden. Gleichwohl sieht das Gericht in den – unterstellt kartellrechtskonformen – Vertriebsvorgaben von Apple keine Rechtfertigung für die Beschränkung von Dritthändlern. Vielmehr müsse Amazon besondere Umstände aufzeigen, um eine mit der Tätigkeit als Apple-Vertriebshändler verbundene Beschränkung der geschäftlichen Möglichkeiten Dritter auf dem Amazon-Marketplace zu rechtfertigen. Die durch den Status als Vertriebshändler bedingte, (leicht) verbesserte Warenverfügbarkeit sei jedenfalls nicht ausreichend. Auch der pauschale Hinweis von Amazon auf den Schutz vor Produktfälschungen und den mit Angeboten von Dritthändlern angeblich einhergehenden Reputationsverlust sei nicht beachtlich. 

Schließlich bejaht das Landgericht Frankfurt a.M. auch den Verfügungsgrund. Dazu verweist das Gericht – in einem einzigen Absatz – zunächst auf die nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin infolge des Ausschlusses zu erwartenden Umsatzverluste in Höhe von ca. 23%. Ergänzend zieht das Landgericht eine eidesstattliche Versicherung der Verfügungsklägerin heran, in der diese angegeben hatte, ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung Angestellte entlassen und voraussichtlich Insolvenz anmelden zu müssen. Dieser Ansatz ist zu begrüßen. 

Zwar hat die Antragstellerin ein Unterlassen (der Sperrung von Produkten) begehrt. Weil dieses aber faktisch wie eine Leistung von Amazon wirkt, hat das Landgericht zutreffend den – strengen – Maßstab für den Erlass von Leistungsverfügungen herangezogen und geprüft, ob das Verhalten von Amazon eine Existenzgefährdung begründet. So kommt eine Leistungsverfügung nach ständiger Rechtsprechung z.B. des OLG Düsseldorf nur bei bestehender oder zumindest drohender Notlage des Antragstellers in Betracht. Dieser muss so dringend auf die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs angewiesen sein oder ihm müssen so erhebliche wirtschaftliche Nachteile i.S. einer Existenzgefährdung drohen, dass ihm ein Zuwarten bei der Durchsetzung seines Anspruchs oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht zuzumuten ist (Urteil vom 22. Juni 2010, VI-U (Kart) 9/10 m.w.N.). Bei der Feststellung der Existenzgefährdung setzen die Instanzgerichte allerdings regelmäßig voraus, dass Antragsteller praktisch ihre Insolvenzreife für den Fall der Ablehnung der Verfügung betriebswirtschaftlich darlegen und glaubhaft machen (z.B. LG Köln, Urteil vom 24. September 2015, 88 O (Kart) 57/17). Das Landgericht Frankfurt a.M. hingegen hat mit Blick auf behauptete Umsatzeinbußen i.H.v. ca. 23% die Versicherung ausreichen lassen, dass der Antragsteller diesen Verlust nicht kompensieren könne, Mitarbeiter entlassen und ggfs. auch Insolvenz anwenden müsse. Dieser pragmatische Ansatz stimmt mit dem Wortlaut von §§ 935, 940 ZPO überein, wonach ein Verfügungsgrund besteht, wenn die begehrte Verfügung – insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen – zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt genügt insoweit die Besorgnis, dass die Verwirklichung der Rechte des Gläubigers ohne Verfügung wesentlich erschwert oder vereitelt werden könnte (z.B. Urteil vom 2. Februar 2016, 11 U 70/15 (Kart)). Überspannte Darlegungsanforderungen sind also nicht gerechtfertigt, zumal im Rahmen der zusätzlich erforderlichen Interessenabwägung etwaig zwingenden Hinderungsgründen aus der Sphäre des Verfügungsbeklagten Rechnung getragen werden kann.

III. SCHLUSSFOLGERUNGEN 

Die zeitliche Diskrepanz zwischen der Einleitung der kartellbehördlichen Untersuchung durch das Bundeskartellamt (Ende 2020) und dem Erlass der einstweiligen Verfügung durch das Landgericht Frankfurt a.M. (Anfang 2019) zeigt ein Dilemma: Der Weg über das Bundeskartellamt ist zwar risikoarm, wird aber in der Regel nicht zu einer zeitnahen Abstellung des monierten Verhaltens führen (wenn überhaupt ein Verfahren eingeleitet wird). Selbst wenn sich das Bundeskartellamt im Rahmen seines Aufgreifermessen entschließt, den Sachverhalt näher zu untersuchen, lässt eine Entscheidung in der Regel auf sich warten, zumal das Bundeskartellamt von seiner Möglichkeit, einstweilige Maßnahmen zu erlassen, in der Regel keinen Gebrauch macht (zu diesem Defizit bereits Karbaum/Schulz, NZKart 2019, 407). Eine zeitnahe Abstellung kartellrechtswidriger Beschränkungen kann nur im einstweiligen Rechtsschutz vor den Zivilgerichten erreicht werden. Gleichwohl haben die traditionell hohen Anforderungen, die an den Erlass einstweiliger Maßnahmen insbesondere bei Leistungsverfügungen gestellt werden, vielfach eine abschreckende Wirkung. Gepaart mit der zusätzlichen Sorge vor der Reaktion eines marktbeherrschenden Gegners, zu dem ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, schrecken Anspruchsteller regelmäßig vor gerichtlichen Schritten mit offenem Visier zurück. Z.T. zu Unrecht.

Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt a.M. zeigt, dass die Möglichkeit, kartellrechtswidrige Praktiken im Eilrechtschutz untersagen zu lassen, nicht vorschnell verworfen werden sollte. Das Landgericht nähert sich den entscheidenden materiell-rechtlichen Fragen (z.B. Marktabgrenzung, Marktbeherrschung und unbillige Behinderung) auf pragmatische Weise und zeigt, dass auch originär kartellrechtliche Fragen im Rahmen einstweiliger Verfügungsverfahren auf Grundlage öffentlich verfügbarer Unterlagen (z.B. allgemeine Studien zu Marktanteilen, Entscheidungspraxis der Kartellbehörden) überzeugend adressiert werden können. 

Schließlich bezeugt das Urteil, dass auch im Verfügungsgrund keine unüberwindbare Hürde liegen muss. Angesichts der zentralen Rolle, die einigen wenigen Akteuren in der Digitalwirtschaft – wie z.B. Google, Apple und Amazon – zukommt, entstehen wirtschaftliche Abhängigkeiten, die den Erlass einstweiliger Verfügungen rechtfertigen können. Exemplarisch ist insoweit die vom Landgericht entschiedene Konstellation: Mit Blick auf die erhebliche kommerzielle Bedeutung, die Verkäufen über den Amazon-Marketplace für viele kleinere und mittlere Händler zukommt, kann eine Sperrung wichtiger Produktlinien gravierende Folgen haben, die auch eine Leistungsverfügung rechtfertigen. Dabei sollten an die wirtschaftlichen Nachteile, die einem Händler ohne den Erlass der Verfügung drohen (Stichwort: Existenzgefährdung), keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Im Sinne eines effektiven Wettbewerbsschutzes sollte auch hier ein pragmatischer Ansatz gewählt werden. Darauf, ob eine im Einzelnen dargelegte, unmittelbare und kalkulatorisch begründete Insolvenzgefahr besteht, kann es nicht ankommen. Benachteiligte Händler also, deren Produkte Amazon z.B. ohne sachlichen Grund gesperrt hat oder die anderweitig durch Amazon behindert werden, dürften demnach gute Aussichten haben, Produktsperrungen und sonstige Behinderungen im einstweiligen Rechtsschutz abstellen zu können.

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Ausgewählte Aspekte des Abschlussberichts der ESMA zum MAR Review

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Ausgewählte Aspekte des Abschlussberichts der ESMA zum MAR Review

9. Oktober 2020

  • Nachdem die BaFin im Frühjahr das neue Modul C des Emittentenleitfadens veröffentlicht hat, legt nun auch die europäische Finanzaufsichtsbehörde (ESMA) ihren Abschlussbericht über die Anwendung und mögliche Überarbeitung der Marktmissbrauchsverordnung (MAR Review) vor. Die ESMA geht in dem Bericht u.a. auf insiderrechtliche Fragestellungen, Rückkaufprogramme, Marktsondierungen, Insiderlisten und Managers' Transactions ein. 
  • Im Ergebnis schlägt die ESMA nur wenige praxisrelevante Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) vor.Insbesondere hält sie eine Anpassung der Definition der Insiderinformation nicht für zweckmäßig. Es ist davon auszugehen, dass sowohl das Insiderhandelsverbot als auch die Ad-hoc-Publizität unverändert an denselben Tatbestand der Insiderinformation anknüpfen werden. Mit einer Entkoppelung der beiden Regime ist nicht zu rechnen.
  • Stattdessen befürwortet die ESMA weitere Konkretisierungen in der MAR und Ergänzungen ihrer Leitlinien (sog. Level-3-Rechtsakte), um ein besseres Verständnis und die einheitliche Anwendung der MAR in Europa sicherzustellenDies betrifft insbesondere die Bereiche Insiderlisten und Managers' Transactions.

Hintergrund

Seit Mitte 2016 sind die marktmissbrauchsrechtlichen Bestimmungen – wie das Insiderhandelsverbot und die Ad-hoc-Publizitätspflicht – in der europäischen MAR geregelt. Deren Schlussbestimmungen sehen vor, dass die Kommission ausgewählte Bestimmungen der MAR überprüfen und dem Europäischen Parlament sowie dem Rat einen Bericht mit den Ergebnissen vorlegen soll (vgl. Art. 38 MAR). Neben weiteren Aspekten wie der Bewertung der Regelungen über Meldepflichten von Führungskräften und über Insiderlisten soll die Kommission auch prüfen, "ob die Bestimmung des Begriffs Insiderinformationen dahingehend ausreichend ist, dass sie alle Informationen abdeckt, die für die zuständigen Behörden relevant sind, um wirksam gegen Marktmissbrauch vorzugehen". Die Kommission hat aus diesem Anlass die ESMA beauftragt, einen MAR Review durchzuführen. 

Die ESMA hat hierzu letztes Jahr ein umfangreiches Konsultationsverfahren eingeleitet, das sich nicht nur auf die in Art. 38 MAR vorgeschriebenen Themen beschränkte, sondern den Befragten darüber hinaus auch die Möglichkeit bot, zu weiteren Themen wie zum Beispiel zu Aspekten der Selbstbefreiung und der Nützlichkeit von Insiderlisten Stellung zu nehmen. Im Rahmen der Konsultation gingen bei der ESMA bis Ende des Jahres 2019 knapp 100 Stellungnahmen u.a. von Kreditinstituten, Emittenten und Handelsplattformen ein.

Nach Auswertung der Stellungnahmen hat die ESMA ihren Abschlussbericht Ende September 2020 – aufgrund der Covid-19-Pandemie leicht verzögert – veröffentlicht. Er fasst die im Rahmen des Konsultationsverfahrens eingegangenen Stellungnahmen sowie die diesbezüglichen Antworten und Empfehlungen der ESMA zusammen.

Ausgewählte Aspekte aus dem Abschlussbericht

Nachfolgend werden ausgewählte praxisrelevante Aspekte des Abschlussberichts zusammengefasst. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt auf insider- bzw. ad-hoc-rechtlichen Fragestellungen. Es wird aber auch ein Blick auf die Empfehlungen der ESMA zu den Themen Insiderlisten und Managers' Transactions geworfen.

Art. 7 MAR – Begriff der Insiderinformation

Im Zusammenhang mit dem Begriff der Insiderinformation hat sich die ESMA insbesondere mit der Frage beschäftigt, ob die derzeitige Definition ausreichend ist, um den nationalen Aufsichtsbehörden eine effektive Bekämpfung von Marktmissbrauch zu ermöglichen. 

Das Meinungsbild im Rahmen des Konsultationsverfahrens war uneinheitlich. Einige Marktteilnehmer kritisierten, dass die Definition der Insiderinformation zu weit gefasst sei und verwiesen dabei auch auf die schwierige insiderrechtliche Beurteilung von Zwischenschritten. Die ESMA ist hingegen der Auffassung, dass die derzeitige Definition der Insiderinformation zu einem vernünftigen Ausgleich zwischen den zum Teil widerstreitenden Zielen der MAR –  Bekämpfung von Marktmissbrauch einerseits und Gewährleistung von Rechtssicherheit für die Emittenten andererseits – führt. 

Demnach sei eine Anpassung der Definition – mit einer für Emittenten außerhalb der Finanzbranche weniger relevanten Ausnahme, die sicherstellen soll, dass das sog. front running erfasst wird – nicht zweckmäßig und wird nicht empfohlen. Es bestehe das Risiko, dass Änderungen der Definition der Insiderinformation zu einer Erhöhung und nicht zu einer Reduzierung der Rechtsunsicherheit führen. Einer Absage erteilt die ESMA damit auch der zum Teil im Rahmen des Konsultationsverfahrens und im Schrifttum geforderten Aufhebung des Gleichlaufs zwischen Insiderhandelsverbot und Ad-hoc-Publizitätspflicht.

Die ESMA sieht allerdings die Notwendigkeit, konkretisierende Hinweise zu veröffentlichen, um Marktteilnehmern die Einordnung zu ermöglichen, welche Informationen Insiderinformationen darstellen und welche nicht. Dies erfordere allerdings eine vernünftige Abwägung, um unbeabsichtigte Folgen in der Praxis zu vermeiden. In bestimmten Konstellationen wie z.B. im Zusammenhang mit der Finanzberichterstattung seien konkretisierende Hinweise in jedem Fall möglich. Auf die derzeit in Deutschland geführte Diskussion zur Einordnung von Zwischenschritten – auch die BaFin geht nunmehr von zwei Typen von Zwischenschritten aus (vgl. Modul C des BaFin-Emittentenleitfadens 2020, Ziff. I.2.1.4.3) – geht die ESMA in ihrem Abschlussbericht hingegen nicht näher ein.

Art. 17 Abs. 4 MAR – Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation

Emittenten können die Veröffentlichung einer Insiderinformation ausnahmsweise aufschieben, wenn (i) ein berechtigtes Aufschubinteresse und (ii) keine Irreführung der Öffentlichkeit vorliegt sowie (iii) die Vertraulichkeit der Information gewährleistet wird. 

Die ESMA hat im Zusammenhang mit der sog. Selbstbefreiung gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR zunächst beleuchtet, ob die Selbstbefreiungsvoraussetzungen im Einzelnen zweckmäßig und hinreichend verständlich sind. Dies wurde zum Teil im Rahmen des Konsultationsverfahrens bemängelt. Die ESMA weist darauf hin, dass das Regime der Selbstbefreiung mit der Definition der – sowohl für das Insiderhandelsverbot als auch für die Ad-hoc-Publizität maßgeblichen – Insiderinformation steht und fällt. Eine Anpassung von Art. 17 Abs. 4 MAR sei ihres Erachtens nicht empfehlenswert. Allerdings seien die Voraussetzungen der Selbstbefreiung – wie auch die Definition der Insiderinformation – interpretationsbedürftig, weswegen die zu Art. 17 Abs. 4 MAR veröffentlichten Leitlinien aus 2016 (ESMA/2016/1478) zu überarbeiten und mit praktischen Beispielsfällen zu versehen seien. In dem Zusammenhang sei es auch zweckmäßig, weitere Tatbestandsmerkmale von Art. 17 Abs. 1 MAR wie z.B. die "unverzügliche" Veröffentlichung von Insiderinformationen zu konkretisieren. Zudem schlägt die ESMA vor, konkretisierende Hinweise zu Art. 17 Abs. 7 Unterabs. 2 MAR zu geben, um ein einheitliches Verständnis von Gerüchten während der Selbstbefreiung sicherzustellen.

Die ESMA betont des Weiteren die Bedeutung interner Compliance-Systeme, um Insiderinformationen zu identifizieren und unverzüglich veröffentlichen zu können. Die MAR verpflichtet Emittenten zwar nicht ausdrücklich bestimmte insiderrechtliche Compliance-Systeme einzurichten. Auch insofern sieht die ESMA keinen Änderungsbedarf. Allerdings werden Emittenten – so die ESMA – mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen Bestimmungen der MAR verstoßen, wenn sie keine robusten und effektiven Systeme und Vorkehrungen eingerichtet haben, die einen ordnungsgemäßen Umgang mit Insiderinformationen sicherstellen. 

Nach derzeitiger Rechtslage sind die nationalen Aufsichtsbehörden nicht über einen Aufschub nach Art. 17 Abs. 4 MAR zu informieren, wenn die Insiderinformation zwischenzeitlich ihre Insiderqualität verloren hat (vgl. Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 3 MAR). Aus Sicht der ESMA besteht kein Anlass, diese Bestimmung anzupassen, da eine effektive Marktüberwachung durch die nationalen Aufsichtsbehörden auch beim status quo sichergestellt sei.

Art. 18 MAR – Verpflichtung zur Führung von Insiderlisten

Emittenten und deren Dienstleister sind nach Art. 18 Abs. 1 MAR verpflichtet, Personen mit Zugang zu Insiderinformationen in einer Insiderliste zu erfassen. Insiderlisten stellen aus Sicht der ESMA ein elementares Instrument zur Verhinderung und Aufklärung von Verstößen gegen die MAR dar. 

Im Rahmen des MAR-Reviews hat die ESMA in diesem Zusammenhang untersucht, ob sich Art. 18 MAR als praxistauglich erwiesen hat und inwiefern Gesetzesänderungen zweckmäßig erscheinen. Dabei hat die ESMA insbesondere beleuchtet, (i) welche Personen in die Insiderliste aufzunehmen sind (tatsächliche Insider versus potentielle Insider), (ii) welche Personen (Stichwort: Dienstleister) verpflichtet sind, Insiderlisten zu führen, (iii) ob die permanente Sektion der Insiderliste sinnvoll ist und (iv) wie der mit der Führung von Insiderlisten verbundene administrative Aufwand für Emittenten reduziert werden kann. Daneben hat die ESMA auch die Bedeutung der Insiderliste für die nationalen Aufsichtsbehörden empirisch analysiert.

Nachfolgend werden die für Emittenten wesentlichen Aussagen der ESMA zum Thema Insiderlisten zusammengefasst:

  • Im Gegensatz zu der Auffassung der BaFin (vgl. Modul C des BaFin-Emittentenleitfadens 2020, Ziff. V.3.1) sind nach dem Verständnis der ESMA grundsätzlich lediglich jene Personen in eine Insiderliste aufzunehmen, die tatsächlich Zugang zu der Insiderinformation haben. Um dies beurteilen zu können, sollten Emittenten über entsprechende Compliance-Systeme verfügen. Nur im Ausnahmefall sollen auch solche Personen aufgenommen werden, die lediglich potentiell Zugang zu der Insiderinformation haben. Da dies in der Praxis zum Teil anders gehandhabt wird, schlägt die ESMA eine entsprechende Klarstellung in den Erwägungsgründen der MAR vor.
  • In Einklang mit Ziffer 5.2 ihrer Questions and Answers zur MAR (ESMA70-145-111, Stand 29. März 2019) betont die ESMA, dass Emittenten auch dann eine Insiderliste erstellen müssen, wenn die maßgebliche Insiderinformation unverzüglich (und nicht erst nach einer Selbstbefreiung) veröffentlicht wird. Teilweise wird im Schrifttum in Deutschland vertreten, dass in solchen Fällen der sog. "Kurzzeit-Eintragung" kein Bedürfnis für eine Insiderliste bestehe.
  • Im Zusammenhang mit dem Problemkreis der Dienstleister des Emittenten schlägt die ESMA vor, Art. 18 Abs. 1 MAR (klarstellend) um Personen zu ergänzen, die Aufgaben für den Emittenten wahrnehmen. Darunter seien z.B. auch Wirtschaftsprüfer, Notare, Berater und Kreditinstitute zu fassen. Es soll ein Gleichlauf zwischen denjenigen, die im Auftrag oder für Rechnung des Emittenten handeln, und denjenigen, die Aufgaben für den Emittenten wahrnehmen ("performing a task for the issuer"), erreicht werden. Auch Letztere sollen künftig zur Führung von Insiderlisten verpflichtet werden. Angesichts der zweckorientierten Auslegung der "Dienstleister" durch die BaFin (vgl. Modul C des BaFin-Emittentenleitfadens 2020, Ziff. V.2.3) bleibt abzuwarten, ob diese Änderung – sofern sie denn umgesetzt wird – praktische Auswirkungen haben wird.
  • In dem Kontext weist die ESMA darauf hin, dass die Aufnahme einer (natürlichen) Kontaktperson des jeweils eingesetzten Dienstleisters ausreichend ist, um die insiderrechtlichen Pflichten zu erfüllen. Dies entspricht insofern der Verwaltungspraxis der BaFin (vgl. Modul C des BaFin-Emittentenleitfadens 2020, Ziff. V.3.3).
  • Zudem stellt die ESMA klar, dass Dienstleister ihrerseits von ihnen eingesetzte Dienstleister in die Insiderliste aufnehmen müssen. Die ESMA schlägt eine entsprechende Ergänzung der MAR vor. Ferner sollte aus Sicht der ESMA in der MAR klargestellt werden, dass Emittenten ihre Dienstleister informieren müssen, wenn sie eine Information als Insiderinformation qualifizieren, damit diese ihrerseits ihren insiderrechtlichen Pflichten nachkommen können.
  • Die Anerkennung der insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen gemäß Art. 18 Abs. 2 MAR soll künftig nicht mehr "schriftlich", sondern "auf einem dauerhaften Datenträger" erfolgen. Vor dem Hintergrund, dass die BaFin das Merkmal "schriftlich" seit Längerem weit auslegt ("Diese Bestätigung kann schriftlich, aber auch in elektronischer Form abgegeben werden, sofern bei Nutzung der elektronischen Form auch zu einem späteren Zeitpunkt diese Kenntnisnahme nachgewiesen werden kann", vgl. Modul C des BaFin-Emittentenleitfadens 2020, Ziff. V.9), dürfte die praktische Relevanz dieser Änderung gering sein. In eine Insiderliste aufgenommene Personen sollen zudem künftig verpflichtet sein, diese Anerkennung unverzüglich zu erklären.
  • Im Übrigen erkennt die ESMA, dass mit der Führung von Insiderlisten administrativer Aufwand und ggf. auch Fragen im Zusammenhang mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verbunden sind. Eine Anpassung der MAR bzw. der Verordnung EU/2016/347, um die verpflichtend aufzunehmenden Daten künftig zu verringern, hält sie aber nicht für erforderlich. In dem Zusammenhang weist sie zudem darauf hin, dass die Marktteilnehmer frei entscheiden können, wie und wo sie die Daten der Insiderlisten speichern.

Art. 19 MAR – Managers' Transactions

Führungskräfte von Emittenten sind grundsätzlich verpflichtet, Transaktionen mit Finanzinstrumenten des Emittenten zu melden (Art. 19 Abs. 1 MAR). Die gleiche Verpflichtung trifft Personen, die mit den Führungskräften eng verbunden sind (wie zum Beispiel Ehegatten). Darüber hinaus treffen die Führungskräfte (nicht hingegen deren eng verbundene Personen) in bestimmten Zeitfenstern des Kalenderjahres (regelmäßig vor der Finanzberichterstattung) gemäß Art. 19 Abs. 11 MAR Handelsverbote (sog. Closed Periods).

Die ESMA hat sich im Bereich der Managers' Transactions schwerpunktmäßig mit folgenden drei Themen beschäftigt: (i) Angemessenheit des Schwellenwerts im Sinne von Art. 19 Abs. 8 MAR, (ii) Meldepflicht bei Transaktionen mit Sondervermögen gemäß Art. 19 Abs. 1a MAR, sowie (iii) Closed Periods gemäß Art. 19 Abs. 11 MAR. Sie kommt nach Durchführung des Konsultationsverfahrens insbesondere zu folgenden Empfehlungen:

  • Im Hinblick auf die Höhe des Schwellenwerts gemäß Art. 19 Abs. 8 MAR (erst bei Überschreiten des Werts sind Transaktionen meldepflichtig) sieht die ESMA keinen Anpassungsbedarf. Der Schwellenwert soll weiterhin grundsätzlich EUR 5.000 betragen. Die nationale Aufsichtsbehörde kann – so sieht es bereits derzeit die MAR vor – den Schwellenwert allerdings auf EUR 20.000 anheben. Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Dänemark haben von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht.
  • Auch im Zusammenhang mit den Schwellenwerten gemäß Art. 19 Abs. 1a MAR (keine Meldepflicht bei Transaktionen mit Fonds, die Finanzinstrumente des betreffenden Emittenten mit maximal 20% Gewicht enthalten) sieht die ESMA keinen Anpassungsbedarf. Zudem weist sie darauf hin, dass diese Ausnahme im Fall der Closed Periods nicht greift und dass aus ihrer Sicht diesbezüglich ebenfalls keine Änderung der MAR angezeigt ist. Damit greift das Handelsverbot gemäß Art. 19 Abs. 11 MAR nach Auffassung der ESMA auch bei Transaktionen mit Finanzinstrumenten, die weniger als 20% Anteile des betreffenden Emittenten enthalten (z.B. Fonds). In der Praxis dürfte sich diese Auffassung als wenig praktikabel erweisen.
  • Zum Thema Closed Periods hat die ESMA ausführlich Stellung genommen. Closed Periods beginnen 30 Tage vor Ankündigung (gemeint: Veröffentlichung) eines verpflichtenden Finanzberichts. Während das Handelsverbot gemäß Art. 19 Abs. 11 MAR (einschließlich der Berechnung der 30-Tages-Frist) aus Sicht der ESMA keiner Anpassung bedarf, schlägt sie mehrere Ergänzungen für den Ausnahmetatbestand in Art. 19 Abs. 12 MAR vor. Insbesondere sollen vom Handelsverbot Transaktionen ausgenommen werden, die nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst sind. Dies betrifft z.B. Transaktionen, die schon vor dem geschlossenen Zeitraum angelegt waren (wie auch die Ausübung von Optionen), Transaktionen eines mit Ermessen agierenden Asset Managers, Transaktionen im Zusammenhang mit Kapitalmaßnahmen des Emittenten und auch Erbschaften und Schenkungen. Zudem sollten sich die Ausnahmetatbestände nicht nur auf Aktien, sondern auch auf sonstige Finanzinstrumente beziehen. Keinen Änderungsbedarf sieht die ESMA hingegen bei der Frage, ob der Emittent die jeweilige Ausnahme vom Handelsverbot genehmigen muss. Trotz entsprechender Stellungnahmen im Rahmen des Konsultationsverfahrens sei die Genehmigung des Emittenten als zusätzliche Kontrolle sinnvoll.
  • Im Übrigen hat sich die ESMA mit der Frage der Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs der Closed Periods befasst. Im Rahmen des Konsultationsverfahren wurde insbesondere die Einbeziehung der eng verbundenen Personen diskutiert. Die ESMA vertritt allerdings im Ergebnis die Auffassung, dass weder die eng verbundenen Personen noch der Emittent selbst dem Handelsverbot gemäß Art. 19 Abs. 11 MAR unterfallen sollten. Zum einen werde die Marktintegrität durch das ohnehin stets geltende Insiderhandels- und Weitergabeverbot gemäß Art. 14 MAR sichergestellt. Zum anderen sei – darauf weist auch die BaFin im Modul C des Emittentenleitfadens ausdrücklich hin – zu berücksichtigen, dass das Handelsverbot auch für indirekt getätigte Eigengeschäfte bzw. für Dritte getätigte Geschäfte gelte. Darunter könnten nach den Umständen des Einzelfalls auch solche Transaktionen fallen, die über oder für eine eng verbundene Person ausgeführt werden.

Abschließend ist im Zusammenhang mit Managers' Transactions auf die ab dem 1. Januar 2021 geltende neue Meldefrist in Art. 19 Abs. 3 MAR hinzuweisen. Künftig wird diese Frist für Emittenten auf zwei Geschäftstage nach Erhalt einer in Art. 19 Abs. 1 MAR genannten Meldung verkürzt werden. Bislang müssen Emittenten die Meldung nach Art. 19 Abs. 3 Unterabs. 1 MAR unverzüglich und spätestens drei Geschäftstage nach dem Geschäft veröffentlichen.

Ausblick

Im nächsten Schritt wird der Abschlussbericht der ESMA der Kommission vorgelegt, die ihrerseits dem europäischen Parlament und dem Rat Bericht erstatten muss (Art. 38 MAR). Ausgehend von den Empfehlungen der ESMA ist nicht zu erwarten, dass es zu umfangreichen Änderungen der MAR (Level 1) bzw. der delegierten und Durchführungsrechtsakte (Level 2) kommen wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die ESMA insbesondere ihre Q&As und Leitlinien mit konkretisierenden Hinweisen zu einzelnen Bestimmungen der MAR (Level 3) überarbeiten und ergänzen wird.

Der Beitrag steht hier für Sie zum Download bereit: Ausgewählte Aspekte des Abschlussberichts der ESMA zum MAR Review

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Mandatspausen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern – Gesellschaftsrechtliche Implikation der #stayonboard-Initiative

#GMW-BLOG: AKTUELLE RECHTS­­ENTWICK­LUNGEN

Mandats­pausen von Vor­stands- und Auf­sichts­rats­mitgliedern – Gesell­schafts­rechtliche Imp­lika­tion der #stayonboard-Initiative

21. August 2020

Am 3. März 2020 informierte das börsennotierte e-Commerce-Unternehmen Westwing Group AG darüber, dass die Gründerin und Chief Creative Officer Delia Lachance von ihrem Amt als Vorstandsmitglied zum 1. März 2020 zurückgetreten sei, da sie für einen Zeitraum von sechs Monaten Mutterschutz und anschließend Elternzeit in Anspruch nehmen wolle und hierfür – wie erforderlich – ihr Vorstandsamt niedergelegt habe.

In der Folge entbrannte sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch der juristischen Fachöffentlichkeit eine Debatte darüber, ob es noch zeitgemäß sei, dass Vorstandsmitglieder ihr Vorstandsamt auch für den Fall einer nur vorübergehenden Nichtausübung, wie etwa bei einer Schwangerschaft, Elternzeit, längerfristigen Krankheit oder der Pflege naher Angehöriger, niederlegen müssen, um nicht auch für solche Maßnahmen und Entscheidungen zu haften, die während der eigenen Abwesenheit getroffen und umgesetzt werden.

Die Diskussion mündete nicht zuletzt in die Gründung der Initiative #stayonboard, in der sich namhafte Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Rechtswissenschaft zusammengeschlossen haben, um eine Gesetzesänderung anzustreben, die Geschäftsleitern die Möglichkeit einräumt, ihr Mandat/Amt für die Dauer von bis zu sechs Monaten ruhen zu lassen, ohne ein entsprechendes Haftungsrisiko fürchten zu müssen.

In diesem Beitrag soll die gesellschaftsrechtliche Implikation der #stayonboard-Initiative dargestellt und der Lösungsvorschlag der Initiative beleuchtet werden.

DERZEITIGE RECHTLICHE AUSGANGSLAGE | STATUS QUO

1. Geschäftsleiter

Sowohl das Aktiengesetz (AktG) als auch das GmbH-Gesetz (GmbHG) sehen bislang keine Möglichkeit vor, ein Geschäftsleiteramt haftungsbefreiend zu unterbrechen oder ruhen zu lassen. 

Ein Geschäftsleiter hat gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG/§ 43 Abs. 1 und 2 GmbHG fortwährend die Pflicht, bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Es besteht für Geschäftsleiter keine Möglichkeit, diese Pflicht auf andere Mitglieder der Geschäftsleitung mit haftungsbefreiender Wirkung zu übertragen. Nimmt ein Mitglied der Geschäftsleitung sein Amt, z.B. aufgrund einer Schwangerschaft oder einer Krankheit, nicht wahr und übernimmt ein anderes Vorstandsmitglied sein Ressort, so trifft das "pausierende" Mitglied gleichwohl weiterhin eine Überwachungspflicht im Hinblick auf die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung. Im Falle eine Verletzung dieser Pflicht haftet das "pausierende" Mitglied der Geschäftsleitung der Gesellschaft gegenüber für Schäden aus § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG. Eine vollständige und haftungsbefreiende Delegation dieser Pflicht auf die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung ist nicht möglich.

Will ein Vorstandsmitglied einer zivilrechtlichen Haftung aus § 93 Abs. 2 S. 1 AktG sowie ggf. auch einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit, z.B. wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht, entgehen, so muss es daher de lege lata sein Amt zwingend niederlegen. Entsprechendes gilt gem. § 43 Abs. 2 GmbHG für den Geschäftsführer einer GmbH.

Überdies können sich sowohl die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft als auch die Geschäftsführer einer GmbH nicht auf die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes, die Vorschriften über die Elternzeit oder Pflegezeit berufen, um eventuell auf diesem Wege in den Genuss einer haftungsbefreienden Pause von ihrem Geschäftsleiteramt zu kommen. Denn diese gesetzlichen Regelungen finden ausschließlich auf Arbeitnehmer/innen Anwendung. Geschäftsleiter/innen sind jedoch gerade keine Arbeitnehmer/innen, da sie schließlich keinerlei Weisungen im Hinblick auf die Ausübung ihrer Tätigkeit unterliegen.

2. Mitglieder des Aufsichtsrats

Gleiches gilt auch für Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Auch für diese sieht das Aktiengesetz keine Möglichkeit einer haftungsbefreienden Mandatspause bzw. ein Ruhenlassen des Mandats vor. Denn auch sie können die ihnen gemäß § 111 Abs. 1 AktG obliegende Pflicht zur Überwachung der Geschäftsführung nicht delegieren. Dies folgt aus § 111 Abs. 6 AktG, wonach die Mitglieder des Aufsichtsrats zur persönlichen Wahrnehmung ihres Amtes verpflichtet sind. Üben sie daher während einer "Pause" ihr Amt und damit ihre Überwachungspflicht nicht aus, obwohl sie weiterhin als Mitglied des Aufsichtsrats bestellt sind, setzen sie sich dem Risiko einer Haftung nach § 116 AktG aus. Auch ein Aufsichtsratsmitglied kommt daher nach der derzeitigen Rechtslage nur dann in den Genuss einer Haftungsfreiheit, wenn es sein Mandat niederlegt.

Lösungsvorschläge der Initiative #stayonboard

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hat die Initiative #stayonboard ein Eckpunktepapier veröffentlicht, in dem sie sich für eine Novellierung des geltenden Aktienrechts einsetzt. Durch diese Novellierung soll für den/die Mandatsträger/innen die Möglichkeit geschaffen werden, sein/ihr Mandant für einen bestimmten Zeitraum ruhend zu stellen, ohne dabei eine Haftung zu fürchten. Entsprechende Regelungen sollen auch für die anderen Rechtsformen geschaffen werden, wie etwa die GmbH.

1. Vorstandsmitglieder

In Bezug auf Vorstandsmitglieder schlägt #stayonboard vor, dass die Regelung des § 84 AktG dahingehend geändert werden soll, dass Vorstandsmitglieder ein Recht auf ein vorübergehendes Ruhenlassen ihres Mandats erhalten. Dieses Recht soll an konkret festgelegte Umstände, wie z.B. eine längere Krankheit oder Umstände, die Arbeitnehmer/innen zu Mutterschutz, Elternzeit oder Pflegezeit berechtigten würden, gekoppelt sein. Ferner soll eine Höchstdauer für die Mandatspause von z.B. bis zu 6 Monaten festgelegt werden. Im Anschluss an die Mandatspause soll das Mandat automatisch wiederaufleben. Kündigt ein Vorstandsmitglied eine Mandatspause an oder befindet es sich in einer solchen, soll eine Abberufung nicht möglich sein, sofern kein verhaltensbedingter Grund für eine Abberufung aus wichtigem Grund vorliegt.

Damit auch die Interessen des Unternehmens Berücksichtigung finden, sieht das Eckpunktepapier der Initiative vor, dass es nicht nur eine Pflicht des Vorstandsmitglieds zur rechtzeitigen Ankündigung des Ruhenlassens geben soll, sondern auch Ausnahmetatbestände normiert werden, durch die sichergestellt werden soll, dass das Ruhenlassen nicht zur Unzeit verlangt werden kann oder wenn diesem gewichtige Gründe des Unternehmenswohls entgegenstehen.

Das Konzept von #stayonboard sieht darüber hinaus vor, dass sowohl die Tatsache des Ruhens des Mandates als auch dessen Zeitraum in das Handelsregister einzutragen sind. Dadurch soll den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit Rechnung getragen und die erforderliche Transparenz hergestellt werden.

2. Aufsichtsratsmitglieder und Leitungsorgane anderer Rechtsformen

Im Hinblick auf Mitglieder der Leitungsorgane anderer Rechtsformen spricht sich die Initiative für vergleichbare Regelungen aus, um auch diesen eine Mandats- bzw. Amtspause zu ermöglichen. 

Hingegen spricht sich die Initiative mit Blick auf die Mitglieder von Aufsichtsräten nicht ausdrücklich für die Möglichkeit einer Mandatspause aus, erachtet eine solche aber auch hier als möglich. Diese differenzierte Betrachtung wird – nachvollziehbar – damit begründet, dass der Zeit- und Arbeitsaufwand der Wahrnehmung eines Aufsichtsratsmandats geringer sei als die eines Leitungsorgans und im Hinblick auf die Aufsichtsräte noch weitere Aspekte, wie etwa die Parität zwischen Arbeitnehmerseite und Eigentümern sowie bestehende Quotenregelungen beachtet werden müssen.

Fazit & Ausblick

Die in dem Eckpunktepapier durch die #stayonboard-Initiative vorgeschlagenen Änderungen des Aktiengesetzes sowie die angeregten Änderungen weiterer gesellschaftsrechtlicher Vorschriften sind grundsätzlich zu begrüßen. Insoweit stellt sich nämlich tatsächlich die berechtigte Frage, warum es nicht auch Geschäftsleitern möglich sein soll, in Elternzeit zu gehen oder eine längere Krankheit in Ruhe auszukurieren, ohne dabei entweder weiterhin einem Haftungsrisiko für die in dieser Zeit getroffenen Entscheidungen und umgesetzten Maßnahmen ausgesetzt zu sein oder stattdessen das Vorstandsmandat oder Geschäftsführeramt vollständig niederlegen zu müssen. Dieser Möglichkeit steht insbesondere auch nicht das Unternehmenswohl entgegen, wenn die Interessen des betroffenen Unternehmens durch eine angemessene Ankündigungsfrist oder Ausschlussgründe, bei deren Vorliegen ein Ruhenlassen des Mandats nicht möglich sein soll, gesetzlich normiert werden. 

Dass dem Unternehmensinteresse ein entsprechender Stellenwert eingeräumt wird bzw. das Ruhenlassen des Mandats bei entgegenstehenden Gründen des Unternehmenswohls nicht in Betracht kommt, ist auch von entscheidender Bedeutung, da Geschäftsleiter dazu verpflichtet sind, zum Wohle des Unternehmens zu handeln und sich bei Antritt ihres Mandats diesem bewusst verpflichtet haben.

Klar ist jedoch auch, dass während einer Mandatspause bzw. des Ruhenlassens durch entsprechende Vorkehrungen und technische Maßnahmen gewährleistet sein muss, dass der/die pausierende Geschäftsleiterin in dieser Zeit auch tatsächlich keinerlei Einfluss auf Entscheidungen der Gesellschaft nehmen und auch keinerlei Einblicke in die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft erhält bzw. nehmen kann. Andernfalls wäre eine Haftungsfreistellung nicht gerechtfertigt.

Für die Zeit nach den Sommerferien hat #stayonboard die Veröffentlichung eines eigenen Gesetzentwurfes angekündigt, der sicherlich auf entsprechendes Interesse der Öffentlichkeit stoßen wird. Abzuwarten bleibt, ob auch die Bundesregierung einen entsprechenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf erkennt und den "Ball" aufnimmt. Die ersten Reaktionen aus Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz stimmen insoweit jedoch positiv.

GLADE MICHEL WIRTZ wird Sie an dieser Stelle fortlaufend über die weitere Entwicklung sowie den jeweiligen Stand der Diskussion und eines etwaigen Gesetzgebungsprozesses informieren. Gerne stehen wir auch für einen Austausch zu diesem Thema jederzeit zur Verfügung.

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Konkurrierende Kapitalanleger-Musterverfahren

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Konkurrierende Kapitalanleger-Musterverfahren

11. August 2020

In zwei kürzlich ergangenen Entscheidungen hat sich der Bundesgerichtshof mit Fragen von konkurrierenden Kapitalanleger-Musterverfahren und der Auslegung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) befasst. Zum einen entschied der zweite Senat mit Beschluss vom 16. Juni 2020, dass das beim Oberlandesgericht Braunschweig anhängige Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Volkswagen AG einem weiteren Kapitalanleger-Musterverfahren beim Oberlandesgericht Stuttgart gegen die Porsche Automobil Holding SE ("Porsche SE") nicht entgegen steht, ein solches vielmehr durchzuführen ist (Az. II ZB 10/19). Zum anderen entschied er in diesem Zusammenhang, dass ein derzeit nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ausgesetztes Berufungsverfahren gegen die Porsche SE fortzusetzen ist (Az. II ZB 30/19). 

AUSGANGSLAGE

Am 22. September 2015 veröffentlichte die Volkswagen AG eine Ad-hoc-Meldung, der zufolge nach bisherigen internen Prüfungen weltweit rund 11 Mio. Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 Auffälligkeiten bezüglich ihres Stickoxidausstoßes aufwiesen, weshalb sie beabsichtige, im dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres rund EUR 6,5 Mrd. ergebniswirksam zurückzustellen.

Die Porsche SE ist als Holdinggesellschaft mit rund 52 % der Stimmrechte an der Volkswagen AG beteiligt. Am 22. September 2015 informierte auch sie in einer Ad-hoc-Meldung über diese Umstände und wies darüber hinaus darauf hin, dass bei ihr infolge der Kapitalbeteiligung an der Volkswagen AG ein entsprechender ergebnisbelastender Effekt zu erwarten sei. In der Zeit ab Mitte September 2015 verloren die Aktienkurse der Stamm- und Vorzugsaktien der Volkswagen AG und der Porsche SE deutlich an Wert. 

Seit Frühjahr 2017 läuft in diesem Kontext vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ein Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Volkswagen AG und die Porsche SE. Die Auftaktverhandlung fand am 10. September 2018 statt. In dem Verfahren soll geklärt werden, ob die Emittenten Anleger zu spät über Risiken im Zusammenhang mit Dieselabgasemissionen informiert haben. Die Volkswagen AG weist in ihrem Geschäftsbericht 2019 darauf hin, dass in diesem Zusammenhang Ansprüche in Höhe von ca. EUR 9,6 Mrd. rechtshängig sind und sie der Auffassung ist, ihre kapitalmarktrechtlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt zu haben.

Die Porsche SE wurde darüber hinaus aufgrund ihres Sitzes in Stuttgart von mehreren Investoren am Landgericht Stuttgart auf Schadensersatz verklagt. In dem Zusammenhang erließ das Landgericht Stuttgart am 28. Februar 2017 einen Vorlagebeschluss zur Einleitung eines Kapitalanleger-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (Az. 22 AR 1/17 Kap, abrufbar im Klageregister des Bundesanzeigers). Das Oberlandesgericht Stuttgart stellte demgegenüber mit Beschluss vom 27. März 2019 fest, dass ein Musterverfahren wegen der Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Braunschweig nach § 7 KapMuG unzulässig sei. Die Bestimmung eines Musterklägers wurde abgelehnt.

Das Landgericht Stuttgart verurteilte die Porsche SE zwischenzeitlich zur Zahlung von Schadensersatz in Millionenhöhe. Auf die Berufungen der Klägerinnen und der Porsche SE hat das Berufungsgericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Kapitalanleger-Musterverfahren in Braunschweig und in Stuttgart ausgesetzt. Das Kapitalanleger-Musterverfahren in Braunschweig sei rechtlich und tatsächlich vorgreiflich, weil es im Kern um dieselbe Frage – wurden Anleger zu spät über die finanziellen Folgen der Auffälligkeiten bezüglich des Stickoxidausstoßes des EA 189 informiert? – gehe. Zudem sei das Verfahren auch im Hinblick auf das – für unzulässig erklärte und tatsächlich nicht eingeleitete – Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart auszusetzen.

KAPITALANLEGER-MUSTERVERFAHREN GEGEN DIE PORSCHE SE IN STUTTGART ZULÄSSIG

In dem ersten Beschluss in Sachen II ZB 10/19 beschäftigte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage der Sperrwirkung des Kapitalanleger-Musterverfahrens beim Oberlandesgericht Braunschweig für ein weiteres Musterverfahren in Stuttgart. Eine solche Sperrwirkung bestehe im Ergebnis nicht – ein weiteres Musterverfahren gegen die Porsche SE sei zulässig. 

Ein Kapitalanleger-Musterverfahren sei aus Sicht des Bundesgerichtshofs wegen der Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses gemäß § 7 Satz 1 KapMuG lediglich ausgeschlossen, soweit die Entscheidung über die Feststellungsziele in einem bereits eingeleiteten Musterverfahren die Prozessgerichte in den Verfahren, die im Hinblick auf die Feststellungsziele des weiteren Musterverfahrens nach § 8 Abs. 1 KapMuG auszusetzen wären, binde. Bei Schadensersatzansprüchen, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation (insbesondere das Unterlassen einer Ad-hoc-Veröffentlichung) gestützt würden, habe eine Entscheidung über die Feststellungsziele eines bereits eingeleiteten Musterverfahrens nur dann bindende Wirkung für andere Prozesse, wenn diese "dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation" beträfen.

Das Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig sperre nach dieser Maßgabe das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart nicht, weil Gegenstand der Feststellungsziele des vor dem Oberlandesgericht Braunschweig eingeleiteten Musterverfahrens Schadensersatzansprüche wegen öffentlicher Kapitalmarktinformationen der Volkswagen AG seien, während das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart öffentliche Kapitalmarktinformationen der Porsche SE betreffen soll. Dass Vorgänge bei der Volkswagen AG jedenfalls mittelbar in beiden Verfahren von Bedeutung sind, sei nicht entscheidend. Es handle sich um verschiedene Kapitalmarktinformationen. Feststellungen eines Musterentscheids kämen keine Bindungswirkung für Folgeprozesse zu, denen lediglich parallele Fallgestaltungen zugrunde liegen.

ZU DEN VORAUSSETZUNGEN DER AUSSETZUNG GEMÄSS § 8 ABS. 1 KAPMUG

In seiner zweiten Entscheidung befasste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage, ob ein anhängiges Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen die Porsche SE zulässigerweise nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt wurde (Az. II ZB 30/19). Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass weder in Bezug auf die Feststellungsziele des Braunschweiger Musterverfahrens noch in Bezug auf die Feststellungsziele des (noch nicht eingeleiteten) Musterverfahrens in Stuttgart eine Abhängigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 KapMuG vorliege. 

Zwar sei auch im Berufungsverfahren eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG möglich, doch gelte dies nur, wenn die maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt seien. Dies sei hier nicht der Fall. Im Hinblick auf das Musterverfahren in Braunschweig liege eine Abhängigkeit bereits deshalb nicht vor, weil die Feststellungen des Oberlandesgerichts Braunschweig keine Bindungswirkung im Sinne von § 22 Abs. 1 KapMuG für mögliche, auf die Verletzung von Informationspflichten gestützte Schadensersatzansprüche gegen die Porsche SE (am Landgericht Stuttgart) hätten. Das Musterverfahren in Braunschweig betreffe ausschließlich Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG. 

Auch in Bezug auf das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart sei eine Aussetzung aber letztlich nicht zulässig, weil diese mit hypothetischen Erwägungen begründet worden sei. Es sei rechtfehlerhaft, eine Aussetzung damit zu begründen, dass eine Erweiterung des Musterverfahrens um weitere Feststellungsziele naheliege. Eine Aussetzung sei lediglich dann zulässig, wenn im betreffenden Verfahren nur noch Tatsachen oder Rechtsfragen offen sind, die unabhängig vom Ausgang des Musterverfahrens nicht beantwortet werden können. Es sei einem Rechtsuchenden nicht zuzumuten, dass sein individueller Rechtsstreit ausgesetzt wird und er unabsehbare Zeit auf das Ergebnis des oft jahrelang dauernden Musterverfahrens warten muss, obwohl nicht feststeht, dass es auf den Ausgang des Musterverfahrens in seinem Prozess tatsächlich ankommt. Ein Prozessgericht dürfte seine Aussetzungsentscheidung nicht auf hypothetische Erwägungen stützen. 

Eine Aussetzung des Berufungsverfahrens gegen die Porsche SE komme im Ergebnis erst dann in Betracht, wenn das Berufungsgericht die Abhängigkeit der Entscheidung des dem Berufungsverfahren zugrundeliegenden Rechtsstreits von den Feststellungszielen des Musterverfahrens beim Oberlandesgericht Stuttgart feststellt. Nicht entscheidend war damit aus Sicht des Bundesgerichtshofs, dass das Oberlandesgericht Stuttgart den Vorlagebeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2017 für unzulässig erklärt und tatsächlich kein Musterverfahren eingeleitet hat. Dies spiele keine Rolle, sofern der entsprechende Beschluss noch nicht rechtskräftig sei.

EINORDNUNG DER ENTSCHEIDUNGEN UND AUSBLICK

Die jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Sachen Porsche SE haben zur Folge, dass – neben dem bereits anhängigen Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig – ein weiteres Musterverfahren zu Fragen der Kapitalmarktinformationshaftung im Zusammenhang mit Auffälligkeiten des Dieselmotors EA 189 durchzuführen ist. Sobald das Oberlandesgericht Stuttgart die Akten aus Karlsruhe zurückerhält, muss es nach billigem Ermessen einen Musterkläger – im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ist dies die Deka Investment GmbH – bestimmen und anschließend das Musterverfahren im Klageregister öffentlich bekanntmachen.

Angesichts der inhaltlichen Überschneidungen wird mit Spannung zu beobachten sein, inwiefern es zwischen dem noch einzuleitenden Musterverfahren beim Oberlandesgericht Stuttgart und dem bereits seit Jahren laufenden Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, bei dem bereits in acht Terminen über prozessuale und materielle Fragestellungen verhandelt wurde, zu Wechselwirkungen kommen wird. In jedem Fall kann davon ausgegangen werden, dass auch das Musterverfahren in Stuttgart einige Jahre dauern und schwierige Rechtsfragen aufwerfen wird. 

Der zweite Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Juni 2020, der die Fortsetzung des am Oberlandesgericht Stuttgart anhängigen Berufungsverfahrens gegen die Porsche SE anordnet (Az. II ZB 30/19), dürfte in tatsächlicher Hinsicht demgegenüber weniger Relevanz aufweisen. Denn sobald das Musterverfahren beim Oberlandesgericht Stuttgart um weitere Feststellungsziele erweitert wird (§ 15 Abs. 1 KapMuG), dürften – auch nach Maßgabe des Bundesgerichtshofs – die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 KapMuG gegeben und eine Aussetzung des Verfahrens geboten sein.

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